Die Braut des Florentiners - TB 2006/2007
vordere der beiden Schatten ließ die Arme sinken. Es war zu finster, um ihn lächeln zu sehen. »Und was ist das da?«
Die dunkle Gestalt deutete auf den zweiten Schatten, der versuchte, nicht bei jedem Atemzug vor Angst zu wimmern, und grandios dabei versagte.
»Das«, sagte der vordere Schatten, »ist sein Gewicht in Gold wert.«
»Es ist kein Ersatz für das Gewehr, das du verloren hast.«
»Nein«, sagte der vordere Schatten, »aber das können wir uns wiederholen. Ich kenne den Weg in Cortos Rattennest hinein.«
Kapitel 43.
L orenzo spähte durch die letzten Schilfhalme auf die grasige Ebene vor dem Damm. Er konnte keinerlei Bewegung ausmachen. Das Gras schimmerte wie Perlmutt im frühen Morgennebel. Die Toten des gestrigen Abends waren dunkle Klumpen im widerwillig lichter werdenden Grau. Lorenzo lauschte in den Schilfwald hinein, doch er hörte keinen Ton. Mehr als zwanzig Männer steckten darin, einige davon in seiner unmittelbaren Nähe, und er konnte sie nicht sehen. Wenn Antonio Bandini und seine Männer kamen und in das Schilf eindrangen, hatten sie keine Chance. Sie würden umstellt sein, bevor sie wussten, was geschah. Lorenzo wandte sich lautlos um und sah Cortos schmales Gesicht neben sich. Cortos Augen funkelten.
»Glaubst du wirklich, Vogler führt die Kerle hierher?«, hauchte er.
»Wohin hätte er sonst flüchten sollen? Nach Revere? Die ganze Strecke durch die Nacht? Außerdem hätte man ihn in diesem Fall abgefangen. Die werden die ganze Nacht patrouilliert haben, damit wir uns nicht im Schutz der Dunkelheit davonschleichen.«
»Ich hätte nicht gedacht, dass Giallo so ein Narr ist und ihn losbindet.«
»Du hast auch nicht geglaubt, dass Vogler auf den Trick reinfällt.«
»Wie hast du es plausibel gemacht, dass du deinen Wachposten verlassen hast? Wenn du einfach nur aufgestanden und weggegangen wärst, hätte er sicher Verdacht geschöpft.«
Corto murmelte etwas Undefinierbares. Lorenzo zuckte mit den Schultern. Er musterte die vollkommen leere Ebene vor dem Schilfwald aufs Neue. Sein Herz schlug einen langsamen, harten Takt. Oben auf der Dammkrone waren die Dörfler zusammen mit Cortos verbliebenen Gefangenen und den beiden Klosterschwestern damit beschäftigt, sich möglichst lautlos auf die Durchquerung der Furt vorzubereiten. Lorenzo dachte an Magdalena, die immer noch wie tot auf dem Wrack des Trosswagens gelegen hatte. Sie sah noch schlechter aus als am Abend zuvor, falls das möglich war. Er versuchte, die Sorge um sie zu verdrängen, aber sie hielt sich hartnäckig im Hintergrund und meldete sich zu Wort, sobald seine Gedanken ein paar Augenblicke in Leerlauf gerieten. Bestürzt machte er sich klar, dass er seit ihrem Gespräch im Wald kaum mehr an Clarice gedacht hatte.
»Die Madonna hat mir geholfen«, sagte Corto, und es dauerte einen Herzschlag, bis Lorenzo verstand, dass es nicht metaphorisch gemeint gewesen war.
»Was?«
»Ich sagte mir, Vogler ist schlau. Er rechnet vielleicht damit, dass wir einen Trick versuchen. Aber er rechnet nicht damit, dass jemand von den Gefangenen dabei mitspielt.«
»Und Clarice hat mitgespielt!?«
»Du hast ein zu schlechtes Bild von der jungen Dame.«
Lorenzo starrte Corto an. Ein ungläubiges Lächeln zog sich über sein Gesicht. Corto machte eine verdrossene Miene und wandte sich ab. »Wo bleiben sie denn?«, knurrte er zwischen den Zähnen. »Auf keinen Menschen ist Verlass!«
»Wer sich ergibt, wird verschont«, sagte Lorenzo. »Sag mir noch mal, dass wir es so halten wollen.«
»Du machst dir um diese Schweine Sorgen? Irgendwo da draußen liegen Fabio und die anderen!«
»Du hast es mir zugesichert.«
»Da hatte ich einen schwachen Moment.«
»Corto, es haben sich nicht alle an der Schlächterei beteiligt. Und ein Mord ist auch dann ein Mord, wenn das Opfer selbst ein Mörder ist.«
»Wir als gute Menschen haben ja die Freiheit der Entscheidung«, sagte Corto sarkastisch.
Lorenzo erwiderte nichts. Er hatte Corto das Zugeständnis abgerungen, Bandini und seine Männer zu verschonen, sobald sie sich ergeben hatten. Lorenzo dachte an Pietro und Buonarotti und hoffte für sie ebenso wie auf ganz widersinnige Weise für Niccolò und für Bandini, dass alle vernünftig blieben und niemand ein Blutbad heraufbeschwor. Er ließ sich von dem Gedanken leiten, dass Bandini die Erinnerung an das Massaker unter den Männern seines Geleitzugs noch als Warnung in den Knochen stecken musste – auch dieses hätte vermieden werden
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