Die Braut des Florentiners - TB 2006/2007
überblicken ist. Man kann sich zwar nicht wirklich verirren, weil man ja zwangsläufig irgendwann am Arno-Ufer landet, aber man kann es schaffen, sich als Reisegruppe zu verlieren, wenn Sie wissen, was ich meine.«
»Mhm.«
»Wir nahmen die Route über die Via Francigena. Es war schon später Herbst, der Wind blies uns von den Bergen herunter ins Gesicht und verjagte die Mücken und vertrieb die böse Luft, von der das Fieber kommt. Wenn Sie sich erinnern, Antonio, dann waren das damals ohnehin ein ziemlich kalter Sommer und ein noch schlechterer Herbst gewesen.«
»Hm.«
»Ser Bianchi hatte den alten Luigi und die anderen Männer vorgeschickt, weil er den Weg vor sich sicher wissen wollte. Nun will ich ja wie gesagt nichts gegen den alten Luigi sagen, aber irgendwie gelang es ihm und den anderen Hanswursten, auf einen Nebenweg zu wechseln, der sich immer weiter von der Straße entfernte, sodass Ser Bianchi und ich eigentlich allein unterwegs waren, ohne es zu ahnen.«
Bandini verdrehte die Augen. Niccolò fasste es falsch auf und nickte.
»Genau. Ich hätte es ihnen schon sagen können, dass sie aufpassen müssen – ich stamme nämlich aus der Nähe von Empoli und kenne die Verhältnisse auf der Via Francigena. Aber mich fragte ja keiner.«
»Hast du deinen capitano nicht trotzdem angesprochen?«
»Wieso denn? Er wusste ja, dass ich aus der Gegend stamme, er hätte mich ja bloß zu fragen brauchen. Abgesehen davon sagte ich was zu Ser Bianchi, und er meinte lediglich, ich solle mich mit Luigi abstimmen, und danach war es mir zu dumm, sie aufzuklären.«
»Was geschah?«, fragte Bandini, der sich wünschte, gewusst zu haben, dass seinerzeit Pietro, Buonarotti und Maffeo schon bei der Truppe gewesen waren; er hätte mit jedem Einzelnen von ihnen lieber gesprochen als mit Niccolò – sogar mit Buonarotti –, selbst wenn er dafür hätte bezahlen müssen.
Niccolò kniff die Lippen zusammen, als er in die Vergangenheit schaute.
»Sie waren zu viert, und sie standen plötzlich in einem lockeren Kreis um uns herum. Einer hatte einen Bogen, die anderen Piken aus langen, zugespitzten Holzstangen.«
»Straßenräuber. Feiges Dreckspack«, knurrte Bandini. »Der Appenin ist wie ein Paradies für sie; auf zehn Schritte finden sich elf Versteckmöglichkeiten. Man kann nicht genug von ihnen aufknüpfen.«
»Wir zügelten die Pferde. Ich weiß noch, dass ich dachte: Oh-oh … Ser Bianchi hatte ein Schwert in eine Decke eingerollt hinter den Sattel geschnallt, aber um es zu fassen und zu ziehen, hätte er eine halbe Stunde Zeit benötigt. Ich machte mich bereit, ihn zu verteidigen und dabei den Tod zu finden, aber ich wusste genau, wenn ich mein Schwert zog, würde mich der Bursche mit dem Bogen vom Pferd herunterschießen, also hielt ich mich still. Ich meine, ich war natürlich darauf vorbereitet, für meinen Herrn zu sterben, aber was hätte ich tun sollen?«
Bandini, der in keiner Sekunde seines Lebens zum Sterben vorbereitet gewesen war – noch nicht einmal damals bei Onkel Bernardos Verrat – und der fand, dass ein Kämpfer, der die Möglichkeit seines eigenen Todes in Betracht zog, wenn er in den Kampf ging, es gleich sein lassen und sich selbst die Kehle durchschneiden konnte, gab keine Antwort auf die Frage und auch nicht seiner Überzeugung Ausdruck, dass Niccolò angesichts des nahen Todes wohl eher seine Hosen nass gemacht hätte, anstatt darüber nachzudenken, wie er seinen Herrn verteidigen konnte.
»Wir standen da und starrten sie an, und sie starrten uns an. Dann machte einer von ihnen den Mund auf und sagte zu Ser Bianchi: ›Du siehst aus wie jemand, der gern eine kleine Spende machen möchte.‹«
Niccolò schluckte. Wider Erwarten war Bandini gespannt darauf, wie es weiterging.
»Dann sagte eine andere Stimme: ›Aber du siehst nicht aus wie jemand, der eine kleine Spende kassiert.‹«
»Ghirardi?«, fragte Bandini schockiert, dem plötzlich bewusst wurde, dass diese Geschichte – in einigermaßen entstellter Form – etliche Monate lang in den Kreisen seiner Zunftgenossen mit Bewunderung und Häme erzählt worden war.
»Er stand ein bisschen außerhalb des Kreises«, sagte Niccolò widerwillig. »Sie haben ihn ja gesehen, Antonio – ich hielt ihn zuerst für einen von den Strauchdieben mit seinem langen Haar und allem. Aber dann erkannte ich, dass er nicht zu ihnen gehörte.« Er versuchte es mit einem ironischen Grinsen, das vollkommen misslang. »Nicht, dass ich nicht im selben
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