Die Braut des Florentiners - TB 2006/2007
noch in der Hölle Gewicht hat«, sagte Bianchi.
Bandini neigte den Kopf. Er hasste es, wenn jemand ihm das Lob offen ins Gesicht blies.
Bianchi feuerte die Fleischfetzen, die er an den Fingern hatte, zurück in das Schlachtfeld, in dem die Reste des Hähnchens lagen.
»Verdammt!«, knurrte er. »Wissen Sie was? Ich gelte als Mann, dessen Menschenkenntnis einiges Gewicht hat.«
»Keine Sorge«, sagte Bandini. »Dass man sich einmal irrt, ändert nichts an der grundsätzlichen Richtigkeit einer Anschauung.«
Bianchi betrachtete ihn. »Sie haben mich falsch verstanden«, sagte er schließlich. »Ich bin überzeugt, dass Sie sich irren.«
Bandini starrte den Mann vor sich an. In der Stille des Saals erklang das Kratzen des Schürhakens, mit dem der Knecht die Asche im Kamin verteilte, das Schrapp-Schrapp der Bürsten, die den Boden säuberten, und das leise Gemurmel des Handwerkers, der sein weiteres Vorgehen mit sich selbst diskutierte, zwischendurch rülpste und spuckte – »Pfui!« –, zu keinem Entschluss gelangte und daher sicherheitshalber das Arbeiten einstellte, bis er mit sich selbst zu einer Einigung kommen würde. Bianchi gab Bandinis Blick zurück. Bandini fiel erst jetzt auf, dass die Augen des Kaufmanns dunkelblau waren, von schweren Wimpern fast verhangen … dunkelblau wie Onkel Bernardos Augen, die immer vor Vergnügen gefunkelt hatten, wenn er sich einen Streich ausdachte. Nur an jenem Tag nicht, an dem Antonio Bandinis altes Leben geendet hatte; das Blau war nicht schön, sondern kalt gewesen, und die Augen hatten nicht gefunkelt, sondern fiebrig geglänzt. Der alte Hass auf Florenz stieg in Bandinis Mund wie Magensäure, wenn man sich an ein halb verdautes, schlechtes Mahl erinnert.
»Ich höre wohl nicht recht«, sagte er.
»Sie halten sich für unfehlbar«, sagte Bianchi.
»Wenn ich zu einer Überzeugung gelange, dann habe ich vorher intensiv darüber nachgedacht und alle Aspekte abgewogen. Wenn ich mir nicht sicher wäre, würde ich meine Überzeugung nie aussprechen. Wenn Sie das für Unfehlbarkeit halten wollen …«
»Wenn ich eine Entscheidung über einen Mann treffe, dann frage ich meinen Bauch«, erklärte Bianchi. »Das dauert ungefähr einen halben Moment. Wenn mein Bauch nach dieser Zeit noch immer unsicher ist, dann treffe ich die Entscheidung nicht. Ich habe mich vor drei Jahren dafür entschieden, Lorenzo Ghirardi zu vertrauen. Ich halte meinen Bauch für unfehlbar.«
»Und ich mein Urteil.«
Bianchi lächelte. »Ich habe niemals gehört, dass ein Gericht einen der Männer, die Sie geschnappt haben, nicht zum Galgen verurteilt hätte.« Er seufzte. »Dennoch – diesmal irren Sie sich.«
»Nein.«
»Ich möchte Ihnen Folgendes vorschlagen: Ich rüste eine Truppe Männer aus, damit Sie die Banditen zur Strecke bringen können, sobald Lorenzo meine Schwiegertochter befreit hat oder sobald wir Nachricht von ihm erhalten, dass er Hilfe braucht.«
»Nachricht?«, japste Bandini. »Die einzige Nachricht, die Sie erhalten werden, ist die mit der Lösegeldforderung, und bei deren Abfassung hat Ghirardi mitgeholfen.«
»Hören Sie endlich auf damit, Bandini. Sie sind ein großartiger Mann. Dass Sie sich einmal irren, ändert doch nichts daran.«
»Das müssen ausgerechnet Sie sagen.«
Bianchis Lächeln wurde bemühter. »Lorenzo geht in meinem Haus aus und ein, als wäre er ein Sohn. Wenn er’s wäre, hätte ich wahrscheinlich überlegt, ob ich die Hochzeit nicht zwischen ihm und Clarice hätte arrangieren sollen. Sie beleidigen nicht nur ihn, sondern auch mich, wenn Sie auf Ihrer Anschuldigung beharren.«
»Sie beleidigen sich selbst mit Ihrem naiven Glauben an die Güte dieses Straßenräubers.«
»Jetzt reicht’s aber, Bandini. Sie mögen für viele eine lebende Legende sein, und Sie haben es sogar geschafft, dass die meisten Florentiner, wenn man den Namen Bandini nennt, nicht sofort an das Verräterschwein Bernardo denken, sondern zuerst an Sie … Aber Sie befinden sich unter meinem Dach …« Bianchi brach ab; vielleicht sprach er aber auch weiter, nur dass Antonio Bandini ihn nicht mehr hören konnte. In seinen Ohren gellte es.
»Was haben Sie gerade gesagt …?«, fragte er. Er sah wie von ferne, dass Bianchi zurückzuckte. Er zog die Möglichkeit in Betracht, dass er geschrien hatte. Das Kratzen des Schürhakens war verstummt und das Schrapp-Schrapp ebenso. »Was haben Sie gesagt!?« Er wusste jetzt, dass er geschrien hatte.
Bianchi kam langsam in die Höhe.
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