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Die Braut des Florentiners - TB 2006/2007

Titel: Die Braut des Florentiners - TB 2006/2007 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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erneut wie einer, dessen edlere Teile im Maul eines Löwen stecken und der zu dem Löwen sagt: Ich weiß genau, dass du nicht zubeißen wirst. Giallos Gefangenschaft schien ihm die Fähigkeit genommen zu haben, mehr als zwei Gesichtsausdrücke zu produzieren; der andere bestand aus dem Lächeln eines Mannes, der soeben feststellen musste, dass er sich in Bezug auf den Löwen geirrt hat.
    »Wenn Sie meinen«, brummte Lorenzo. Er wünschte sich, Giallo würde wieder zum Feuer zurückkehren.
    »Nein, nein, ich weiß es. Sie sind anders.« Er sah sich um und trat einen Schritt näher an Lorenzo heran. Er roch nach Angstschweiß und furchtsamer Hoffnung. »Sie reden anders. Sie begegnen mir mit Respekt.«
    Lorenzo starrte ihn an. Giallo blinzelte entsetzt.
    »Ich meine natürlich … Ich meine … das nicht so, wie es klingt …«, stotterte der Kaufmann. Er ließ die Schultern sinken. »Sie reden mich so an, wie ein Mensch den anderen ansprechen sollte. Sie sagen nicht: He, Giallo, bist du immer noch da? Warum will niemand was für deinen gelben Arsch bezahlen?«
    »Ich bin noch nicht lange genug im Geschäft«, erwiderte Lorenzo und dachte an das, was Schwester Magdalena gesagt hatte.
    Giallo schwankte und trat schließlich einen Schritt näher. »Sie brauchen mir nichts zu erklären«, raunte er. »Ich weiß, wie das ist. Der Kaufmann, für den Sie arbeiten, trifft eine Fehlentscheidung – sein Vermögen steckt in Waren, die mit einem Schiff vor der irischen Küste untergehen, oder sein Treck gerät in den Bergen in schlechtes Wetter, und alles verdirbt, oder er hat sich verschuldet, um dem Papst blauen Samt und Silber für die Ausstattung seiner Pferde zu liefern, und jetzt will der Papst plötzlich rote Seide und Gold – und schon ist kein Geld mehr da, um die Kontoristen und Schreiber und Buchhalter und Handelsagenten und Mannschaften zu bezahlen, und Sie stehen da, haben vielleicht noch Frau und Kinder und müssen das Essen für sie bezahlen, und da kommen Sie auf die Idee, es mit Straßenraub zu versuchen, und weil Sie ein guter Mensch sind und nicht wissen, wie man das macht, schließen Sie sich einer Bande an und …«
    »Ich könnte ja der Kaufmann selbst sein, der Bankrott gegangen ist, nicht nur einer seiner Handlanger«, unterbrach Lorenzo, halb belustigt.
    Giallo stutzte.
    »Nein«, sagte er dann schlicht. Er wirkte ausnahmsweise sehr bestimmt.
    »Gehen Sie wieder zum Feuer«, sagte Lorenzo. »Ich erinnere mich, dass Corto Sie dort haben wollte und nicht hier.« Er nickte zur Feuerstelle hinüber. Das Gelächter der Männer drang gedämpft zu ihnen. Magdalena und die beiden anderen Schwestern waren umringt. Einen Augenblick lang sah es so aus, als würden Cortos Wölfe zudringlich, doch dann erkannte Lorenzo, dass sie den jungen Frauen Essen und Trinken aufzudrängen versuchten. Lorenzo neigte dazu, den Männern im Allgemeinen nicht weniger Anstand zuzubilligen, als seine eigene Truppe in vergleichbarer Situation besessen hätte, doch er wusste auch, wie schnell die Lage außer Kontrolle geriet, wenn nur einer der Männer die Nerven verlor. Die Schwesterntracht allein hätte vielleicht dazu geführt, dass einer sich zum Beweis gedrängt fühlte, auch ein Sakrileg könne seine Männlichkeit nicht aufhalten – Cortos Befehl sorgte dafür, dass niemand glaubte, sich beweisen zu müssen. Lorenzo beobachtete, wie einer – Pio-Pio – sein Hemd aufschnürte und Schwester Magdalena den Rücken zuwandte, wo von fern der dunkle Fleck eines Heilverbands aus Kräutern und Schlamm zu sehen war. Magdalena fuhr mit beiden Händen darüber und dann über die Schultern und die Rippen Pio-Pios, die ganz und gar unzärtliche, geschäftsmäßige Berührung einer Heilerin, die untersuchte, wo es dem Patienten sonst noch wehtat. Lorenzo spürte die Berührung auf der eigenen Haut, als stünde er dort vorn. Zu seiner eigenen Überraschung stellten sich ihm die Haare auf den Oberarmen auf. Er spürte gleichzeitig die Erinnerung an das Gefühl, das ihn immer durchrieselt hatte, wenn seine Mutter dem kleinen Lorenzo die Decke bis zum Kinn hochgezogen und unter seinen Schultern festgestopft hatte, und die Erinnerung an jenes andere, auf ganz unterschiedliche Weise süße Gefühl, als dem nur wenige Jahre älteren Lorenzo eines der Mädchen auf einem Dorffest das Hemd bis zum Kinn hochgeschoben hatte, um in der Dunkelheit unter den Bäumen selbst die Dinge auszuprobieren, von denen alle, deren Väter und Mütter noch lebten,

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