Die Braut des Freibeuters: Er beherrschte die Meere - doch sie war die Herrin seiner Sinne (German Edition)
kurz angesehen hatte, war trotz der Schmutzschicht auf seinem Gesicht anziehend gewesen.
Vanessa riss sich aus ihren Träumen. Das war vorbei, Vergangenheit. Sie war nun hier, an Bord eines der großen Handelsschiffe, das neben den wenigen Passagieren vor allem Waffen und Handelsgüter für die westindischen Kolonien mit sich führte, und würde, wenn der Wind günstiger wurde, in wenigen Tagen Jamaika erreichen. Dort, im Hafen von Kingston, wollte ihr Onkel sie persönlich abholen und zu seinem Besitz geleiten. Die Reise war bisher ruhig und mit schönem Wetter verlaufen, und es hatten sich nicht einmal die gefürchteten Kaperfahrer blicken lassen, vor denen man allgemein solche Angst hatte.
Sie senkte den Kopf und beschäftigte sich wieder mit dem Brief, den sie – wohl schon zum hundertsten Male – las.
Es war Alberts Abschiedsbrief. Er musste ihn seinem Sekretär diktiert haben, als er schon im Sterben lag und wusste, dass er nur noch wenige Tage zu leben hatte. Es war ein sehr liebevolles Schreiben, ganz wie Albert selbst es auch gewesen war. Voller Zuneigung seiner jungen Frau gegenüber, die er gehütet hatte wie seinen Augapfel.
Vanessas Mutter war kurz nach ihrer Geburt gestorben, und sie hatte mit ihrem Vater, einem englischen Diplomaten, in Paris gelebt. Ein hinterhältiger Überfall bei einer seiner Fahrten in die Provinz hatte auch ihn das Leben gekostet, und Vanessa war, kaum vierzehnjährig, ganz allein dagestanden. Da hatte sich ein alter Freund ihres Vaters ihrer erbarmt. Er hatte das eigenwillige und nicht besonders reizvolle halbe Kind zu sich genommen, für seine Erziehung gesorgt, aus einem wilden, ungestümen Ding eine junge Dame gemacht und sie schließlich an ihrem achtzehnten Geburtstag geheiratet. Vanessa hatte Albert schon als Kind gemocht und war ohne zu zögern damit einverstanden gewesen, später seine Frau zu werden. Der große Altersunterschied hatte sie niemals gestört. Albert war ein sehr jugendlicher Mann gewesen, dem man nicht ansah, dass er bei seiner Heirat schon in den Fünfzigern war, und der ihr tiefe Zuneigung und ein sicheres, behagliches Heim geschenkt hatte. Das war vor neun Jahren gewesen.
Und jetzt war er tot.
Vanessa senkte den Kopf tief über den Brief. Einige Tränen fielen darauf, und sie tupfte sie hastig mit ihrem zarten Taschentuch fort, bevor die Tinte zerfließen konnte.
Albert. Sie hatte nicht nur ihm Liebe gegeben, sondern ein Vielfaches davon von ihm empfangen. Sie erinnerte sich an ihr Zusammenleben, bevor er sie zu seiner Frau gemacht hatte. Er war wie ein liebevoller Vater gewesen, ein Freund. Und dann, eines Tages, kurz vor ihrem achtzehnten Geburtstag, hatte er sie zu sich rufen lassen. Sie hatte in einem dieser bequemen Lehnstühle vor dem Kamin in seiner Bibliothek gesessen, während er selbst unruhig hin und her gelaufen war. Schließlich war er vor ihr stehen geblieben und hatte sehr ernst auf sie hinuntergesehen.
»Vanessa, meine Liebe«, hatte er gesagt, »du lebst nun seit vier Jahren bei mir im Haus und hast mir mit deiner munteren, lebhaften Art viel Freude bereitet. Ich weiß, dass du nur einen Freund deiner Familie in mir siehst, der dir väterlich zugetan ist, aber …« Er hatte kurz innegehalten und dann hastig weitergesprochen, so als müsse er die nächsten Worte schnell hinter sich bringen, »… aber könntest du dir vorstellen, mich als etwas anderes zu sehen als nur einen verlässlichen Freund, mein Kind?«
Sie hatte groß zu ihm aufgeblickt und zuerst nicht verstanden, was er mit seinen Worten gemeint hatte. Zu lange kannte sie ihn schon, seit ihrer Kindheit, und immer war er ihr wie ein guter Onkel vorgekommen, der beste Freund ihres Vaters. Und nun …
»Was ich dir vorschlagen will, Vanessa«, hatte er, als ihm das Schweigen schließlich zu lange gedauert hatte, weitergesprochen, »ist, meine Frau zu werden. Es … es gäbe dir Sicherheit, mein Kind. Deine Stellung in diesem Haushalt wäre dann nicht länger die eines Mündels, sondern die einer Hausherrin. Ich bin nicht mehr jung, Vanessa, ich habe nicht mehr mein ganzes Leben vor mir so wie du, aber ich möchte dich beschützen. Auch über den Tod hinaus. Und das kann ich nur, wenn du meine Frau wirst und damit Anspruch hast auf alles, was auch mein ist. Auch würde dich diese Heirat zu einer Französin machen.«
»Aber ich bin Französin!«, hatte sie erstaunt ausgerufen.
Albert hatte gelächelt. »Ja, du bist hier aufgewachsen, Französisch ist deine
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