Die Braut des Herzogs (German Edition)
überrascht war, meinte sie mit einem Anflug von Bitterkeit: »Du brauchst nicht zu befürchten, daß ich meine Erwartungen zu hoch ansetze. Ich weiß noch genau, wie es vor sechs Jahren war. Und damals war ich immerhin erst siebzehn und noch nicht sitzengeblieben. Und doch war ich ein Mauerblümchen. Jetzt bin ich dreiundzwanzig Jahre alt, altmodisch und ohne Aussicht auf eine stattliche Mitgift. Da kann ich nicht allzuviel erwarten. Doch für einen netten Mann, der mich nicht über Gebühr langweilt, wird es reichen. Glaubst du nicht, meine Liebe?«
Olivia lachte unwillkürlich auf, als sie in das Gesicht ihrer Freundin sah, in dem sich unverhohlener Abscheu spiegelte. »Vielleicht hält ein Witwer um meine Hand an«, fuhr sie fort. »Mit zwei, drei Kindern und einem Landhaus. Dann hätte ich wieder eine Aufgabe, die mir liegt, und das Leben könnte ganz erfreulich werden.«
Sie lächelte tapfer. Doch ein tiefer Seufzer entrang sich ihrer Brust. So ganz ihren Idealvorstellungen schien eine derart biedere Zukunft doch nicht zu entsprechen.
IV .
»Die Post ist soeben gekommen, Mylady«, verkündete der Butler, der geräuschlos das Zimmer betreten hatte. Es war später Vormittag, und die Familie, bestehend aus Lord und Lady Redbridge, Miss Olivia und ihrer um sechs Jahre jüngeren Schwester Sophia, war um den Tisch versammelt. Das Frühstücksgeschirr war bereits abgeräumt, und die jüngeren Kinder hatten das Haus verlassen und waren zu den Ställen enteilt.
Man war eben dabei, Mylady über all jene Nachbars- und Pächterfamilien zu informieren, die an diesem Tag auf dem Besuchsprogramm standen. Lady Redbridge hielt es für eine Selbstverständlichkeit, allen Familien im Umkreis einen Höflichkeitsbesuch abzustatten. Olivia hatte ihr spontan angeboten, sie zu begleiten. Sie wußten beide, daß dies ein kluger Schachzug war. Wenn erst einmal das gute Einvernehmen, das zwischen Stiefmutter und Stieftochter herrschte, allgemein bekannt war, dann stand der freundlichen Aufnahme von Mylady im Landkreis nichts mehr im Wege.
Alle bisherigen Besuche waren recht erfreulich und in herzlicher Atmosphäre verlaufen. Die gemeinsamen Ausfahrten hatten auch dazu beigetragen, daß sich die beiden Frauen besser kennenlernen konnten. Sie waren überrascht, wie leicht es ihnen fiel, eine gemeinsame Gesprächsbasis zu finden, und wie sehr sie einander, trotz ihrer kurzen Bekanntschaft, schätztenund mochten. Olivia war gerade dabei, von Mrs. Goodhow zu sprechen, die in der Gegend für ihre Salben und Tinkturen bekannt war, die sie aus selbstgezogenen Kräutern mischte, als sie vom Butler unterbrochen wurde. Dieser reichte Marilla das Silbertablett, auf dem die Zeitung und ein kleiner Stapel Briefe lagen. Da für jeden der Anwesenden ein Schreiben dabei war, herrschte bald einvernehmliche Stille. Diese wurde von einem erstaunten Ausruf Seiner Lordschaft jäh unterbrochen. Die anderen fuhren von ihrer Lektüre auf. Lord Redbridge saß da, in der Hand ein Blatt Büttenpapier, das mit einem schmalen Goldrand versehen war, und blickte Olivia entgeistert an.
»Was ist los, Papa?« meldete sich Sophia zu Wort, »hast du unerfreuliche Nachrichten erhalten?«
Seine Lordschaft beachtete seine jüngere Tochter nicht, sondern fuhr fort, seine ältere mit einem eindringlichen Blick zu betrachten.
»Olivia«, sagte er schließlich, »seit wann bist du mit Seiner Gnaden, dem Herzog von Wellbrooks, bekannt?«
»Dem Herzog von Wellbrooks?« wiederholte diese und schüttelte den Kopf, »ich kenne den Herrn nicht. Warum fragst du, Papa? Was ist mit Seiner Gnaden?«
»Er hält um deine Hand an, meine Liebe«, antwortete ihr Vater und reichte das Schreiben an sie weiter.
Diese Erklärung sorgte naturgemäß für Aufregung unter den anwesenden Damen. Während Lady Marilla sie eingehend beobachtete, überflog Olivia die Zeilen.
»Ein Herzog!« rief Sophia aus, die als erste die Sprache wiedergefunden hatte. »Olivia soll einen Herzog heiraten?«
Sie warf ihrer Schwester einen prüfenden Blick zu. Es war ihr, als sähe sie sie nun aufgrund des Antrages mit anderen Augen.
»Aber, aber … der Herzog muß doch schon ziemlich alt sein. Sicher hat er die sechzig bereits überschritten«, stammelte diese, die es einfach nicht fassen konnte.
»Ach, so ist das.« Sophia lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. Wenn der Herzog wirklich bereits ein derart biblisches Alterhatte, dann war es keine Sensation, wenn er ihre Schwester zur Frau nehmen
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