Die Braut des Herzogs (German Edition)
nicht beklagen, aber ab und zu hatte ich das Gefühl, das Leben würde ohne mich stattfinden. Als ginge es einfach an mir vorbei. Alle Freundinnen, die ich von Kind auf hatte, sind in der Zwischenzeit weggezogen. Sie haben ihre eigenen Kinder, ihren eigenen Haushalt …«
»… ihren eigenen Mann«, setzte Marilla den Satz fort. »Ich kann dich sehr gut verstehen. Und in der Umgebung hat sich kein Gentleman gefunden, der für eine Heirat geeignet gewesen wäre? Was ist zum Beispiel mit dem Ehrenwerten Mr. Lilliford?«
»Mit Edward?« rief Olivia aus, »diesem aufgeblasenen, einfältigen, langweiligen Schwätzer?« Sie bemerkte das Blinzeln in Marillas Augen: »Ach, du willst mich bloß necken!« stellte sie erleichtert fest. »Nein, in der Umgebung kenne ich keinen, mit dem ich mir eine Vermählung auch nur im entferntesten vorstellen könnte. Bei einem Musikabend in den Assembly-roomslernte ich letztes Jahr einen jungen Offizier kennen. Er war der zweite Sohn eines Barons. Wir haben uns einige Male getroffen, sind zusammen ausgeritten, aber …«
Olivia zuckte die Schultern.
»Warum ist nichts daraus geworden?« fragte Marilla.
»Er wurde versetzt?«, erklärte Olivia, »und ich war ja an Redbridge Manor gebunden. Es war niemand da, an den ich meine Pflichten hätte übergeben können. Verstehst du nun, warum ich sagte, dein Kommen gäbe mir die Möglichkeit, nach London zu gehen? Es ist nicht, weil ich dich nicht leiden kann. Ganz im Gegenteil. Gerade weil ich dich schätze und weil ich weiß, daß alles bei dir in den besten Händen ist. Im übrigen habe ich den Verdacht, daß dir mein Weggehen gar nicht so unrecht ist. Ich bin es gewöhnt, auf dem Gut frei zu schalten und zu walten und der Dienerschaft Anweisungen zu geben. Das alles fällt jetzt in deine Kompetenz. Wer weiß, vielleicht würden wir in nicht allzulanger Zeit die Klingen miteinander kreuzen.«
Marilla lachte. »Da hast du vermutlich recht«, gab sie zu. »Natürlich freue ich mich, wenn du zu Hause bist. Ich habe noch nie eine Frau wie dich kennengelernt. Ich kann mit dir frei und ungezwungen sprechen und das, obwohl wir uns erst so kurze Zeit kennen. Und dann stehen wir auch noch in einem Verhältnis zueinander, das allgemein als sehr schwierig gilt. Schließlich bin ich deine Stiefmutter und unter der hat die schöne Stieftochter bekanntlich immer zu leiden. Das kennen wir doch aus allen Märchen. Ich werde dich also kaltblütig in die weite Welt hinausschicken … Nein, im Ernst. Ich begrüße deinen Entschluß, nach London zu gehen und dein eigenes Leben zu leben. Ich bin sicher, du wirst es viel mehr genießen, als du das als junges Mädchen getan hast. Du bist nun wahrlich nicht mehr schüchtern und pausbäckig. Wenn du dich modisch kleidest, dein Haar anders trägst und deine Füße in hübscheres Schuhwerk schnürst, wirst du als sehr interessante Erscheinung gelten. Rotblonde Locken sind zwar im Moment nicht der letzte Schrei in der Hauptstadt, aber du hast das gewisse Etwas, das dich aus all den blassen jungen Damen heraushebt.« Olivia, die derartigeSchmeicheleien nicht gewöhnt war, sah sie skeptisch von der Seite an. »Wirklich meine Liebe, das ist mein voller Ernst«, setzte Marilla hinzu, als sie den Blick bemerkte.
»Nun laß uns aber umkehren«, meinte sie dann. »Ich sinke mit meinen Schuhen förmlich im Morast ein und bekomme bereits nasse Füße. Du darfst keinesfalls vergessen, mir vor deiner Abreise die Adresse des Schuhmachers zu nennen, der diese abscheulichen Stiefel herstellt, die du trägst, und um die ich dich im Moment glühend beneide.«
V .
Am darauffolgenden Sonntag, der mit einem strahlenden Morgen begann, saß der Herzog von Weilbrooks bei einem ausgiebigen Frühstück, als; der Butler meldete, Lord MacAlister wünsche Seine Gnaden zu sprechen.
»Ja, das wünsche ich in der Tat. Aber kannst du dir nicht endlich abgewöhnen, mich so formell anzukündigen, mein Guter?« sagte eine fröhliche Stimme hinter ihm.
Andrew Mattley, der vierte Earl of MacAlister, erschien im Türrahmen. Er war einer der besten Freunde des Herzogs, kleiner als dieser, jedoch ebenso sportlich. Seine dunkelblonden Locken waren à la Brutus frisiert. In dem jungenhaften Gesicht fielen vor allem aie blauen Augen auf, die von unzähligen Lachfältchen umrahmt waren. Er war ein gutaussehender junger Mann, Ende zwanzig und außerordentlich charmant. Vor mehreren Jahren hatte er von seinem Vater die Würde eines Earls geerbt und damit
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