Die Braut des Herzogs (German Edition)
Lebemann, der sich für den Mittelpunkt des Daseins hält.«
Mylady war zu keiner Erwiderung fähig. Sie schüttelte nur langsam und stetig den Kopf. »Meine Liebe«, sagte sie schließlich, »wie konntest du nur?«
Olivia war sich nur zu bewußt, wie berechtigt dieser Vorwurf war, und Tränen stiegen ihr in die Augen.
Als ihre Tante das sah, verschwand die Strenge aus ihrem Gesicht, sie setzte sich neben ihre Nichte und tätschelte ihr gutmütig die Hand. »Nein, bitte, bitte nicht weinen. Ich kann niemanden weinen sehen. Ich muß sofort mitheulen. Weißt du was, ich werde uns beiden jetzt ein schönes Gläschen Sherry eingießen, und dann erzählst du mir alles der Reihe nach.«
Während sie sich erhob und zu der schmalen Kredenz hinüberging, in der sie die Glaskaraffen mit den alkoholischen Getränken aufbewahrte, hatte Olivia Zeit, sich zu fangen. »Es tut mir schrecklich leid, Tante«, sagte sie. »Aber er hat mich herausgefordert. Weißt du, ich konnte ungerechtfertigte Beschuldigungen noch nie wortlos hinnehmen. Und da ist dann wieder einmal meine Zunge mit mir durchgegangen. Außerdem hasse ich es, wenn man mich anbrüllt«, setzte sie hinzu.
»Anbrüllt?« wiederholte Mylady, der die Zusammenhänge noch immer nicht klar waren. »Wer hat gebrüllt? Doch nicht Wellbrooks?« Sie kannte den Herzog als kühlen, reservierten Gentleman. Es war natürlich vorstellbar, daß er schneidende Bemerkungen machte, aber »brüllen«? Sie reichte Olivia ein Glas, die dankbar einen Schluck nahm. Dann forderte sie Olivia freundlich auf, sie nicht länger im dunkeln tappen zu lassen.
So kam es, daß Olivia von Anfang an, unterbrochen von zahllosen, ungläubigen Ausrufen und Zwischenfragen ihrer Tante, berichtete: Über den überraschenden Antrag Seiner Gnaden, den Besuch des Sekretärs, die Beweggründe, die sie veranlaßt hatten, den Antrag anzunehmen, wobei sie allerdings die Rolle von Marillas Sohn verschwieg. Sie erzählte von der unseligen Begegnung beim Ball von Lady Jersey und alle Einzelheiten des heutigen Gesprächs.
Als sie geendet hatte, blieb es einige Zeit lang still, dann sagte Mylady: »Also, das ist die abenteuerlichste Geschichte, die ich je in meinem Leben gehört habe. Hättest du sie mir nicht selbst erzählt, ich würde sie nicht glauben.« In der Folge äußerte sie ihre Meinung zu den einzelnen Punkten der Erzählung, wurde nicht müde, sich über das schändliche Betragen von George Romsey zu empören, und sprach in diesem Zusammenhang auch Olivia nicht von jeder Schuld frei: Denn war es nicht der Gipfel der Leichtsinnigkeit, sich in einem fremden Haus alleine, ohne Anstandsdame in einem entlegenen Zimmer aufzuhalten? Noch mehr jedoch tadelte sie ihre Nichte für deren Verhalten am Vormittag. Auch wenn sie noch so gereizt und ungerecht behandelt wird, so hat eine wahre Lady nie die Contenance zu verlieren. Schon gar nicht vor einem Herrn wie Wellbrooks. Und die Hand dieses Herrn auszuschlagen, war überhaupt ein unverzeihlicher Fehler, eine nicht wiedergutzumachende Dummheit! Ihre Ausführungen gipfelten darin, daß Seine Gnaden Olivia inskünftig schneiden werde.
Olivia, die schuldbewußt auf ihrem Sitz zusammengesunken war, hob nun den Kopf und erklärte trotzig: »Als ob mir das etwas ausmachen würde!«
»Aber natürlich macht es dir etwas aus!« belehrte sie ihre Tante ungehalten. »Du weißt nicht, wovon du sprichst. Wenn dich Wellbrooks schneidet, dann werden dich auch die anderen schneiden. Alle tun doch, was er ihnen vormacht. Er braucht nur ein Wort über dein undamenhaftes Verhalten von heute vormittag fallenzulassen, und du bist auf alle Ewigkeit in der Gesellschaft unmöglich gemacht. Wir können nur hoffen, daß er ausRücksicht auf mich, denn immerhin bin ich die beste Freundin seiner Tante und habe auch seine Mutter einigermaßen gut gekannt, von drastischen Schritten absieht.«
Daraufhin zog sich Mylady erschöpft in ihre Gemächer zurück und ließ ihre Nichte allein mit ihren düsteren und aufgewühlten Gedanken. Olivias erster Impuls war, unverzüglich ihre Koffer zu packen, um in ihrem Elternhaus Zuflucht zu suchen. Mit Entsetzen fiel ihr ein, daß das unmöglich war. Wie könnte sie ihrer Stiefmutter in die Augen sehen, ohne auch nur das geringste über den Aufenthaltsort ihres Sohnes in Erfahrung gebracht zu haben? Noch dazu, da sie so verschwenderisch mit deren Geld umgegangen ward Nein, ihre Großzügigkeit konnte und durfte nicht ohne Gegenleistung bleiben.
Und
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