Die Braut des Normannen
schreckliche Weise erniedrigt wurde, wenn Lawrence sie nicht entdeckt hätte und zu ihr gekommen wäre. Er hatte versucht, sie zum Weggehen zu überreden, aber es war bereits zu spät gewesen.
Nichola war nicht imstande gewesen, Royce beim Abendessen gegenüberzusitzen, und deshalb im oberen Stockwerk bei ihrem kleinen Neffen geblieben. Royce hatte nicht einmal jemanden zu ihr geschickt, um sie holen zu lassen – wahrscheinlich war ihm gar nicht aufgefallen, daß sie nicht mit am Tisch saß, weil er schon wieder neue Pläne schmiedete, wie er ihren Binder das nächste Mal schikanieren konnte.
Aber Royce vermißte Nichola bei Tisch. Das Abendessen wurde eine Stunde später als gewöhnlich aufgetragen, weil Royce einen neuen Zeitplan aufgestellt hatte, und Alice war sicher, daß ihre Herrin bereits zu Bett gegangen sei. »Sie sah sehr müde aus«, bemerkte die Dienerin.
Lawrence wartete, bis die Dienerin die Halle verlassen hatte, dann beugte er sich zu Royce, um Nicholas Fehlen auf seine Weise zu erklären. »Ich versuche schon eine geraume Zeit, Euch allein zu sprechen, um Euch zu berichten, was geschehen ist«, begann er. »Nichola geht Euch vermutlich absichtlich aus dem Weg, Baron. Ich möchte wetten, daß sie deshalb in ihrem Zimmer bleibt.«
»Weshalb sollte sie mir aus dem Weg gehen?«
»Sie hat Eure Begegnung mit Justin mitangesehen.«
»Verdammt. Wie, in Gottes Namen, konnte das passieren?«
»Ich trage die volle Verantwortung dafür«, bekannte Lawrence. »Ich habe, wie Ihr mir aufgetragen habt, auf Lady Nichola gewartet. Gute fünf Minuten verstrichen, bis ich rein zufällig etwas Blaues – ihr Gewand – sah. Eure Frau ist heimlich auf den Wehrgang geklettert, Baron, und als ich sie erreichte, war es schon zu spät. Sie hat alles beobachtet.«
Royce schüttelte den Kopf. »Verdammt«, fluchte er wieder.
Lawrence wiegte den Kopf hin und her. »Ihr Gesichtsausdruck war erschreckend«, sagte er. »Sie sah aus – ja, sie war am Boden zerstört, und sie sagte kein einziges Wort. Sie drehte sich einfach weg und ging ins Haus.«
»Ich kann nur vermuten, was jetzt in ihrem Kopf vorgeht. Sie wird es nie begreifen. Vielleicht ist es ganz gut, daß sie schon zu Bett gegangen ist – morgen werde ich versuchen, vernünftig mit ihr zu reden.«
Thomas gesellte sich zu den Männern an den Tisch, und Royce zwang sich, nicht mehr an seine Frau zu denken und sich statt dessen Thomas' Bericht über den baulichen Zustand von Nicholas Heim anzuhören. Der Soldat bestätigte genau das, was Royce schon vorausgeahnt hatte: Die Burg war zum Teil baufällig und nicht mehr sicher.
Das Gespräch dauerte bis Mitternacht, und als Royce endlich in sein Zimmer ging, erwartete er, Nichola schlafend vorzufinden.
Aber sie war gar nicht im Zimmer. Sein erster Gedanke war, daß sie ihn verlassen hatte – eine lächerliche, vollkommen unlogische Reaktion, aber, verdammt noch mal, sie war nicht da, obwohl sie in ihrem Bett hätte liegen sollen. Sein Herz hämmerte wie wild vor Angst. Wenn sie die Festung verlassen hatte, dann würde sie diese Nacht im Freien nicht lebend überstehen. Royce fühlte sich plötzlich, als ob er den Alptraum, den er in der Nacht durchlitten hatte, in der sie London erreicht hatten, tatsächlich erleben würde. In seinem Traum hatte er Nichola im Wald verloren und war nicht in der Lage gewesen, zu ihr zu gelangen.
Er schüttelte den Kopf. Er mußte sich beruhigen, ermahnte er sich selbst, und die Situation genau durchdenken. Diese Frau hatte absolut keinen Grund, vor ihm davonzulaufen – er war immer freundlich und nachsichtig gewesen. Lieber Gott, wenn ihr irgendein Leid geschah, dann wußte er nicht, was er tun würde.
Er stürmte aus dem Zimmer und brüllte immer wieder ihren Namen, während er durch den Flur rannte. Als er an Ulrics Zimmer vorbeikam, flog die Tür auf. Nichola stand vor ihm und sah ihn stirnrunzelnd und mit finsterem Blick an. Der schreiende Ulric saß auf ihrem Arm.
Royce war so erleichtert, sie zu sehen, daß er nur herausbrachte: »Was, zum Teufel, tust du hier?«
»Mäßige dich und sprich leiser, Royce«, forderte sie ihn auf. »Du regst das Baby nur noch mehr auf.«
»Warum bist du nicht dort, wo du hingehörst – in deinem Bett?«
Er konnte seine Gefühle nicht mehr unterdrücken. Er war so froh, sie zu sehen, daß er einfach schreien mußte und gleichzeitig am liebsten lauthals gelacht hatte. Sie war in Sicherheit, und sie hätte ihn nicht verlassen.
Er holte
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