Die Braut des Normannen
sie sich umdrehte und ging.
»Es ist schön, wenn eine Frau so an ihren Mann glaubt und ihm vertraut«, bemerkte Lawrence, als er Royce ins Freie folgte.
Der Baron lächelte. »Lawrence, warte hier«, ordnete er an. »Fang sie ab, wenn sie hier vorbeikommt. Ich möchte nicht, daß sie mich stört. Halte sie im Haus fest.«
Der Vasall sah seinen Herrn erstaunt an. »Wollt Ihr damit sagen ...«
»Nichola ist wahrscheinlich schon auf dem Weg zu einer der Hintertüren. Sie vertraut mir zwar, aber sie möchte trotzdem mit eigenen Augen sehen, was vor sich geht. Ich fürchte nur, daß sie dann nicht an sich halten kann und sich doch in das Geschehen einmischt.«
Lawrence grinste. »Ihr kennt sie sehr gut, Baron.«
Royce schüttelte den Kopf und erwiderte düster: »In diesem Fall schon. Sie hat genau das im Sinn, was du oder ich tun würden, wenn Justin dein oder mein Bruder wäre. Aber ansonsten durchschaue ich meine Frau nicht so gut – sie ist viel komplizierter, als ich anfangs vermutet hatte. Bei den lächerlichsten Bemerkungen gerät sie in schreckliche Wut.«
Er klang so verwirrt, daß Lawrence ihn mitleidig ansah. Da er selbst nie verheiratet gewesen war, wußte er nicht genug über Frauen, um seinem Herrn einen Rat oder Hinweis zu geben.
Royce erwartete auch nichts dergleichen. Er nickte Lawrence zu und machte sich auf den Weg. Er hatte den ersten Hof noch nicht erreicht, als er schon Justins Gebrüll vernahm.
Nicholas Bruder war von Soldaten umringt, und einer der Männer hatte eine blutige Nase. Royce vermutete, daß Justin für diese Verletzung verantwortlich war – und auch das erfreute ihn. Er schickte seine Soldaten mit einem kurzen Befehl weg und bedeutete Ingelram, in der Nähe zu bleiben. Dann trat er Justin allein gegenüber.
Nicholas Bruder sah wild aus. Sein schmutziges Haar hing ihm zerzaust um die Schultern – es war ebenso schlammverschmiert wie seine blaue Jacke und die ausgebeulte braune Hose. Seine Augen sprühten Funken vor Haß.
Der Junge, der noch vor kurzem so gleichgültig und teilnahmslos gewesen war, hatte sich vollkommen verändert.
Royce verschränkte die Arme vor der Brust und fixierte Justin mit starrem Blick. Dann erklärte er ruhig die Regeln, die all seine Soldaten zu befolgen hatten. Er fuhr sogar unbeirrt in einem milden, geduldigen Tonfall fort, als Justin losbrüllte und sich auf ihn stürzte. Royce wich der Attacke mühelos aus und versetzte Justin einen Tritt.
Der Junge fiel vornüber zu Boden, gab sich aber trotzdem nicht geschlagen. Er rappelte sich auf und griff immer und immer wieder an. Royce gelang es jedesmal, den Schlägen zu entkommen, ohne in seinen Erklärungen innezuhalten. Justin benutzte seine Faust, seinen Kopf und seine Schultern, um Royce zu Fall zu bringen, und stieß dabei die wüstesten Beschimpfungen aus. Als er Royce einen Bastard und Entführer nannte, fand er sich plötzlich flach auf dem Rücken liegend wieder. Eine Staubwolke wirbelte auf, als er stürzte, und sobald sich die Luft wieder geklärt hatte, sah er, daß Royce sich drohend vor ihm aufgebaut hatte. Justin versuchte, auf die Füße zu kommen, aber Royce stellte einen Fuß auf seine Brust und hielt ihn so auf dem Boden.
»Ich bin weder dein Entführer noch ein Bastard«, sagte Royce. »Ich bin dein Baron, Justin, und du bist mein getreuer Gefolgsmann.«
Justin schloß die Augen und schnappte nach Luft. Royce trat einen Schritt zurück und erläuterte weiter das Exerzier-Programm, während Justin mühsam auf die Beine kam. Der Junge nahm seine letzten Kräfte zusammen, zielte auf Royces Gesicht und spuckte. Er verfehlte zwar sein Ziel, aber die Geste an sich war schon beleidigend genug. Royce reagierte blitzschnell. Er versetzte Justin einen gutplazierten Tritt ins Hinterteil, der ihn erneut zu Boden schickte. In dieser Bestrafung lag nicht der leiseste Hauch von Wut oder Ärger – Royce erteilte dem Jungen lediglich seine erste Lektion, wie er die nächste Zukunft überleben konnte.
Und er gewann auch Justins vollste Aufmerksamkeit. Trotz seiner Raserei entging dem Jungen nicht, daß sein Peiniger nicht im mindesten die Ruhe verloren hatte – Justin verstand zwar nicht, was vor sich ging, aber Royces Haltung erschreckte ihn zutiefst, und er konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Es schien vollkommen gleichgültig zu sein, wie sehr er den Baron reizte, er konnte ihn nicht dazu bringen, zum Todesstoß anzusetzen. Diese Erkenntnis jagte Justin Angst ein, denn das hieß,
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