Die Braut des Normannen
ihn verrückt.«
Royce ließ Ingelram, dessen Gesicht noch immer gerötet war, nicht aus den Augen. Sobald Ingelram den Blick seines Herrn bemerkte, sprudelten die Worte aus ihm heraus. »Baron Guy ist nicht Euer Freund. Er ist voller Neid, weil Ihr ihn in allem übertrefft.«
»Aber weshalb hat er dann Eure Versetzung befürwortet?« bohrt Hugh weiter, in dem Bestreben, dem Rätsel auf den Grund zu kommen.
Ingelram senkte den Kopf und starrte verlegen auf seine Stiefelspitzen. »Er hat meine Versetzung nicht als Vorteil für Baron Royce angesehen – ganz im Gegenteil. Henry und Morgan haben sich beinah totgelacht über die kluge Entscheidung ihres Herrn. Sie sind alle überzeugt, daß ich niemals ein tauglicher Ritter werde.«
»Wieso hält Euch Guy für unfähig?« wollte Royce wissen.
Ingelram lief noch röter an, und Royce befürchtete schon, er würde im nächsten Augenblick in Flammen aufgehen.
»Ich bin ein Hasenfuß«, gestand Ingelram. »Baron Guy meint, daß ich nicht willensstark und tapfer genug für seine Einheit bin. Jetzt kennt Ihr die Wahrheit, und Baron Guy hat recht behalten. Durch meine Schwäche habt Ihr eine Niederlage erlitten.«
Royce hätte am liebsten losgepoltert, aber er behielt die Fassung und erwiderte scharf: »Wir haben keine Niederlage erlitten. Um Himmels willen, steckt Euer Schwert weg. Ihr habt noch nicht einmal richtig mit der Ausbildung begonnen, und genau aus diesem Grund gebe ich Euch nicht die Schuld an unserer Lage. Wenn Ihr allerdings nach sechs Monaten unter meinem Kommando einen ähnlichen Fehler begeht, drücke ich Euch eigenhändig die Kehle zu und versuche, Euch ein wenig Verstand einzubauen. Verstanden?«
Ingelram nickte eifrig. »Wenn ich erneut versage, werde ich Euch freiwillig meine Kehle hinhalten«, beteuerte er leidenschaftlich. »Keine weitere Niederlage ...«
»Du liebe Güte, wollt Ihr wohl endlich aufhören, diese geringfügige Unannehmlichkeit als Niederlage zu bezeichnen?« versetzte Royce. »Lady Nicholas Flucht bedeutet nur eine kleine Verzögerung für mich – sie ist mir nicht für immer entkommen. Sobald wir abmarschbereit sind und nach London aufbrechen können, gehe ich zu diesem Kloster. Ich werde es nicht einmal betreten müssen – sie wird zu mir herauskommen.« Er trat einen bedrohlichen Schritt auf seinen Gefolgsmann zu. »Oder zweifelt Ihr etwa an mir?«
»Nein, Mylord.«
Royce nickte. Er gab keine Erklärung ab, wie er diese Heldentat vollbringen wollte, und Ingelram hätte sich lieber die Zunge abgebissen, als ihn nach seinen Plänen zu fragen. Dieses Thema stand nicht mehr zur Diskussion.
Trotzdem wurde Royce bald gezwungen, sich zuerst um andere Dinge als um Nicholas Gefangennahme zu kümmern. Hugh war weit kränker, als er geahnt hatte, und am nächsten Morgen glühte der alte Krieger vor Fieber.
Royce wachte drei Tage und drei Nächte am Bett seines Freundes. Er hatte nicht vor, einen seiner eigenen, noch unerfahrenen Leute oder die angelsächsischen Diener in die Nähe des Kranken kommen zu lassen. Sie würden ihn bei der erstbesten Gelegenheit vergiften, das zumindest nahm Royce an. Die Pflicht, seinen Freund zu pflegen, fiel ihm allein zu, aber unglückseligerweise war er für solche Dienste nicht gerade geeignet.
Royce ließ den ehemaligen Steuereintreiber noch einmal zu sich kommen und fragte ihn erneut nach Nicholas Familie aus. Im Geist hatte er schon einen Plan geschmiedet, wie er die junge Frau aus ihrem Zufluchtsort locken konnte, aber er wollte sichergehen, daß er alles bedacht hatte.
Hughs Zustand verschlechterte sich zusehends, und am Ende der Woche wurde Royce bewußt, daß sein Freund sterben würde, wenn er keine fachkundige Hilfe erhielt und richtig behandelt würde. In seiner Verzweiflung brachte Royce den Kranken zum Kloster. Ingelram und Hughs Knappe Charles eskortierten die Kutsche, in der Hugh lag.
Den vier Männern wurde der Zutritt in das Kloster verwehrt, solange sie ihre Waffen bei sich trugen. Royce wehrte sich nicht gegen die Forderung, und als sie ihre Schwerter abgelegt hatten, öffnete sich das eiserne Tor.
Die Äbtissin empfing sie in dem mit Steinen gepflasterten Innenhof. Nach Royces Schätzung mußte sie eine Frau um die Vierzig sein; ihre Haltung war gebückt, aber ihr Gesicht war noch erstaunlich klar und faltenlos. Sie trug ein schwarzes Gewand, eine schwarze Haube und schwarze Schuhe. Obwohl sie ihm kaum bis zur Schulter reichte, zeigte sie sich von seiner Größe gänzlich
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