Die Braut des Normannen
Es war bewundernswert, daß sie versuchte, ihren Bruder vor weiterem Schaden zu bewahren, und sich so für ihn einsetzte, auch wenn sie dieser Aufgabe wahrscheinlich gar nicht gewachsen war.
Doch nach all den Gerüchten, die er über sie gehört hatte, hatte er im Grunde nichts anderes von ihr erwartet. »Nichola, wißt Ihr eigentlich, daß Ihr bei den normannischen Soldaten schon zur Legende geworden seid?«
Diese Bemerkung riß sie aus der Erstarrung und weckte ihre Neugier. »Nur Verstorbene werden zu Legenden«, sagte sie. »Nicht die Lebenden.«
»Falls das wahr ist, dann seid Ihr eine Ausnahme«, meinte Royce. »Ihr habt den Befehl geführt, als Eure Soldaten die ersten drei Angreifer, die William zu Euch gesandt hat, in die Flucht geschlagen haben.«
Sie zuckte mit den Schultern. »Euer Anführer hat Kindern befohlen, mein Heim einzunehmen, und ich habe diese Kinder nur wieder nach Hause geschickt.«
»Selbst wenn das so war«, beharrte er. »Dann ...«
Sie unterbrach ihn. »Die Soldaten meines Bruders standen erst unter meinem Kommando, nachdem ihr eigentlicher Befehlshaber gezwungen war, abzuziehen.«
»Wer ist dieser Befehlshaber, und wo befindet er sich jetzt?«
»Sein Name ist John«, antwortete sie, »und er ist in den Norden geritten.« Sie verschränkte die Arme und sah auf ihren Bruder nieder. »Ihr werdet ihn nie erwischen, er ist viel zu klug, als daß es Männer wie Ihr mit ihm aufnehmen könnten.«
»Mir kommt er eher wie ein Feigling vor, wenn er Euch ohne Schutz allein läßt.«
»Ich habe ihm befohlen, sich auf den Weg zu machen. John ist nicht feige, und außerdem kann ich sehr gut selbst auf mich achtgeben, Baron. Es gelingt mir sogar, langweiligen Normannen zu entkommen, wenn ich möchte.«
Royce ignorierte die Spitze. »Ein Normanne hätte niemals eine Frau sich selbst überlassen.«
Sie schüttelte den Kopf. Es war zwecklos, John jetzt zu verteidigen – sie wußte ja, daß der treue Gefolgsmann ihres Bruders einer der tapfersten Männer war, denen sie je begegnet war. unter den widrigsten Umständen hatte er den kleinen Ulric zu ihr gebracht. Ihr Bruder Thurston hatte John aufgetragen, seinen kleinen Sohn zu Nichola zu bringen und in ihrer Obhut zu lassen, bis der Krieg zu Ende war. James, der angelsächsische Verräter, der die Feinde mit Informationen versorgte, sollte nie – ebenso wie der Normanne – etwas über die Existenz des Babys erfahren. Es war ein Jammer, daß Nichola im Moment nicht Johns Heldentaten rühmen konnte, aber Ulrics Sicherheit war das Allerwichtigste. Für die Normannen mußte Ulric der Sohn einer Dienerin bleiben.
Royce beobachtet ihr Mienenspiel und fragte sich, was ihr wohl durch den Kopf ging. Es war ihm gar nicht recht, daß sie den Soldaten, der sie nur mit einer kleinen Truppe von Beschützern allein gelassen hatte, so sehr verteidigte, aber er entschied, dieses Thema nicht weiter zu verfolgen.
»Ihr habt sehr viel Klugheit und Geschick bewiesen, als Ihr Euch für eine Nonne ausgegeben habt. Meine Soldaten haben sich von Euch täuschen lassen.«
Ihr fiel auf, daß er selbst sich nicht mit einschloß. Schämte er sich zuzugeben, daß sie auch ihn zum Narren gehalten hatte? »Eure Soldaten sind kleine Jungen«, erklärte sie. »Das ist einer der Gründe, weshalb Ihr doch noch geschlagen werdet, Baron.«
»Die meisten meiner Männer sind älter als Ihr.«
»Dann sind sie Dummköpfe.«
»Sie sind nicht ausgebildet, aber keine Dummköpfe«, korrigierte er sie. »Die erfahrenen Soldaten werden für wichtigere Aufgaben gebraucht.«
Royce war nur aufrichtig, aber ihr Gesicht drückte deutlich aus, daß sie die Wahrheit verletzt hatte. Sie drehte ihm den Rücken zu, um ihm zu verstehen zu geben, daß das Gespräch beendet war.
Aber er gab sich nicht so schnell geschlagen. »Ich möchte Euch warnen, Nichola. Es wird Euch in diesem Fall nicht viel nützen, wenn Ihr versucht, allzu schlau zu sein. Die Reise nach London wird beschwerlich genug, und die Zeit, die wir miteinander verbringen müssen, wird nur erträglich für Euch, wenn Ihr Euch gut benehmt.«
Sie hielt es nicht für nötig, sich ihm zuzuwenden, aber ihre Stimme bebte vor Zorn. »Mein Gott, Eure Überheblichkeit ist unerträglich. Ich habe hier Asyl gefunden, und selbst die heidnischen Normannen können das Gesetz nicht brechen. Ich werde nicht von hier weggehen.«
»O doch.«
Sie schnappte nach Luft. »Ihr werdet doch nicht das Recht auf Asyl an einem geweihten Ort mit Gewalt
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