Die Braut des Normannen
London verschleppt hatte – dieser vernünftige Gedanke kam ihr unerwartet in den Sinn, aber sie schob ihn beiseite. Sie wollte jetzt nicht vernünftig sein.
»Ihr seid eine sehr mutige Frau, Lady Nichola«, sagte Matilda. »Das kleine Mädchen, dem Ihr das Leben gerettet habt, ist meine Nichte. Wir stehen alle tief in Eurer Schuld.« Sie machte eine Pause und musterte Nichola mit einem durchdringenden Blick, dann setzte sie hinzu: »Sie ist eine Normannin, aber das scheint für Euch in diesem Augenblick keine Rolle gespielt zu haben, habe ich recht?«
Nichola schüttelte den Kopf. Sie wünschte, Matilda würde sich nicht so besorgt zeigen, und funkelte Royce drohend an.
Er zwinkerte ihr zu.
»Ihr seid für all das verantwortlich, Royce«, flüsterte Nichola.
Matilda hatte die Beschuldigung gehört. »Nein, meine Liebe, es war ein Unfall«, meinte sie, gab den Wachen ein Zeichen, die Tür zu Nicholas Zimmer zu öffnen, und marschierte hinein.
Royce schob Nichola vorwärts.
Die nächsten fünfzehn Minuten stand Nichola Höllenqualen aus. Die herrische Königin gab Befehle, und nach kurzer Zeit kam ihr Leibarzt – ein runzliger alter Mann, der ziemlich gebrechlich wirkte und offenbar selbst einen Arzt brauchte – mit drei Dienerinnen in Nicholas Zimmer. Die Frauen legten alles, was der Leibarzt für die Behandlung brauchte, auf die Holztruhe, dann verbeugten sie sich tief vor der Königin und verließen den Raum.
Royce stand mit auf dem Rücken gefalteten Händen neben Nichola, als der Arzt seines Amtes waltete. Matilda hatte sich zum Fenster zurückgezogen und die Arme über ihrem bemerkenswerten Busen verschränkt, während sie mit scharfen Adleraugen das Paar beobachtete.
Nichola hatte sich geweigert, sich auf das Bett zu legen. Sie saß aufrecht, als hätte sie einen Stock verschluckt, auf einem Stuhl und starrte ausdruckslos in die Ferne.
Baron Samuel, Matildas Leibarzt, hatte sich auf einen anderen Stuhl, Nichola gegenüber, niedergelassen, reinigte die Brandwunden mit kaltem Wasser und strich eine braune Salbe von den Fingerspitzen bis zu den Ellbogen.
Das kalte Wasser brannte wie Feuer auf den Wunden, aber der kühlende Balsam linderte den Schmerz. Nichola wurde gar nicht gewahr, daß sie sich an Royces Schenkel lehnte, aber Matilda registrierte es genau, und dieses Mal konnte sie sich ein Lächeln nicht verkneifen.
»Sie wird ein paar Narben behalten«, erklärte Samuel der Königin, nachdem er Nicholas Hände und Arme mit weichen Baumwollstreifen verbunden hatte.
Royce half dem alten Mann beim Aufstehen. Samuels Knie krachten lauter als die Holzscheite im Kamin.
»Ich schicke Euch einen Schlaftrunk«, sagte er zu Nichola. »Das wird die Schmerzen lindern und Euch helfen, Ruhe und Erholung zu finden.«
»Ich danke Euch«, hauchte sie.
Das waren die ersten Worte, die sie von sich gegeben hatte, seit der Leibarzt in ihr Zimmer gekommen war. Er strahlte sie an. »Ich komme morgen wieder zu Euch, um die Verbände zu wechseln.«
Sie dankte ihm noch einmal. Matildas stechender Blick wanderte von Nicholas gelassener Miene zu Royces besorgtem Gesicht.
»Habt Ihr noch Schmerzen, Nichola?« fragte Royce.
Sein mitleidiger Ton gab Nichola beinah den Rest. »Wagt es nicht, Euch so liebenswürdig und fürsorglich zu geben, Schurke«, zischte sie leise.
»Royce, würdet Ihr uns jetzt bitte allein lassen?« schaltete sich Matilda ein.
Er wollte nicht gehen, das war nicht zu übersehen. Der Baron kam Matildas Aufforderung zwar nach, ganz wie es die Königin erwartet hatte, aber er blieb an der Tür stehen und blitzte Nichola lange und eindringlich an, ehe er sich höflich verbeugte und das Zimmer endgültig verließ.
»Was hatte dieser feindselige Blick zu bedeuten?« wollte Matilda wissen.
»Das ist seine Art, mich daran zu erinnern, daß ich mich anständig benehmen soll«, erwiderte Nichola.
Matilda stellte sich vor Nichola und strich ihr mit einer mütterlichen Geste das Haar aus dem Gesicht. »Es war Baron Royces Pflicht, Euch zu uns zu bringen. Warum gebt Ihr ihm die Schuld für alles?«
Nichola zuckte mit den Schultern. »Weil er diese Aufgabe mit solchem Vergnügen ausgeführt hat«, antwortete sie. »Und außerdem fühle ich mich besser, wenn ich ihm die Schuld zuweisen kann.« Sie sah auf und entdeckte, daß Matilda lächelte. »Ich weiß, daß Baron Royce Euch treu ergeben ist, Mylady. Ihr schätzt ihn vielleicht, aber ich muß gestehen, daß ich ihn unerträglich finde.«
»Hat er Euch
Weitere Kostenlose Bücher