Die Braut des Normannen
ihren Peiniger ein. Royce mußte sie festhalten, um Schlimmeres zu verhüten. Vermutlich hätte sie den Mann, der ihr helfen wollte, getötet, wenn sie eine geeignete Waffe bei sich gehabt hätte.
Nach einer Weile wurde sie gewahr, daß Lawrence sie besorgt ansah, und endlich verflogen die Nebel der Benommenheit. Sie hörte ihre eigenen Schreie und verstummte.
Royce kniete neben ihr und hielt sie. Nichola warf einen Blick auf seine eisige Miene und wäre um ein Haar gleich wieder in Ohnmacht gefallen. Guter Gott, er war wütend, und er sah aus, als ob er jemanden umbringen wollte. Aus dem durchdringenden Blick, mit dem er sie musterte, schloß Nichola, daß sie das Opfer war, das er im Sinn hatte. Wie konnte er es wagen, sie so zornig anzublitzen? Sie hatte ihm doch das Leben gerettet, oder nicht?
O Gott, ihr Bruder Thurston hatte versucht, Royce zu töten – das war mehr als sie ertragen konnte. Thurston war am Leben, aber wie lange noch?
Sie drehte den Kopf, um sich ihre Wunde anzusehen, als Lawrence den Saum ihres Gewandes anhob und einen Streifen von ihrem Unterkleid abriß.
Nichola sah sofort, daß die Verletzung nicht gefährlich war – die Wunde war tief, aber die Blutung hatte bereits nachgelassen.
Royce drehte ihr Gesicht zur Seite. »Schau dir das nicht an«, sagte er. »Es regt dich nur noch mehr auf.«
Seine Stimme bebte, und sie mutmaßte, daß er sich schwer beherrschen mußte, um sie nicht anzubrüllen.
Thurston lebte, und er wollte Royce umbringen. Sicherlich würde ihr Mann bei der ersten Gelegenheit Rache nehmen und Thurston töten. Was sollte sie nur tun?
Sie entschied sich für den einfachsten Weg, den jeder Feigling eingeschlagen hätte. Sie richtete sich mühsam auf und tat so, als ob ihr die Bewegung Schwindelgefühle verursacht hätte. Sie sank schwach gegen Royce und flehte ihn flüsternd an, sie zu stützen, dann schloß sie die Augen.
Plötzlich wurde ihr wirklich übel, und sie war sich nicht sicher, ob das eine Folge ihrer Schauspielerei war oder ob sie doch mehr Blut als vermutet verloren hatte.
Lawrence verband ihre Wunde mit dem Stoffstreifen, während Nichola auf die zerfetzten Bandagen starrte, die ihre Hände bedeckten. Sie schüttelte den Kopf über ihren Zustand. Lieber Gott, in welches Durcheinander sie geraten war! Seit sie Royce zum erstenmal begegnet war, bekam sie lauter Blessuren ab und wurde ständig gedemütigt. Wenn das so weiter ging, würde sie innerhalb der nächsten Woche den Tod finden.
Sie hatte vor, ihrem Mann mitzuteilen, was ihr durch den Kopf ging, nur um seinen Stolz zu verletzen, aber mit einem Mal überkam sie tatsächlich der Schwächeanfall, den sie vor ein paar Minuten noch vorgetäuscht hatte. Dieses Mal spielte sie kein Theater, als sie Royce bat, sie festzuhalten.
»Entweder wird mir schlecht, oder ich verliere gleich das Bewußtsein«, hauchte sie.
Royce hoffte von Herzen, daß sie eine Ohnmacht von den Qualen, die sie erleiden mußte, befreien würde.
»Sie hat wieder die Besinnung verloren«, bemerkte Lawrence knapp.
Royce nickte und sagte mit rauher Stimme: »Sie hat sehr viel Blut verloren.«
»Nein, Royce«, erwiderte Lawrence, dem der ängstliche Tonfall seines Barons nicht entgangen war. »So schlimm war es nicht. In einer Woche ist sie wieder auf den Beinen.«
Royce schwang sich in den Sattel und nahm Lawrence Nichola ab, um sie behutsam auf seinen Schoß zu heben. Der weiße Verband an ihrer Schulter hatte sich schon wieder rot verfärbt. »Sie könnte verbluten, noch bevor wir die Festung erreicht haben«, murmelte er.
Lawrence beruhigte ihn. »Die Blutung hat nachgelassen«, sagte er. »Royce, ich verstehe Eure Sorge nicht, die Verletzung ist nicht lebensgefährlich.«
»Ich habe nicht den Wunsch, über meine Sorge zu diskutieren«, versetzte Royce schroff.
Der Vasall nickte eilfertig und bestieg sein Pferd. »Warum hat sie sich vor Euch geworfen, Mylord?« fragte er. »Sie mußte doch gesehen haben, daß Ihr eine Rüstung tragt, die den Pfeil ablenken würde.«
»Sie hat nicht nachgedacht«, entgegnete Royce. »Sie wollte mich nur beschützen.«
Es klang beinah so, als wäre er selbst verblüfft darüber. »Nichola hat in ihrer Benommenheit irgend etwas gesagt... ich habe nicht verstanden, was sie meinte, Lawrence, aber es steckt mehr dahinter als ...«
Er hielt inne. Einer der Soldaten reichte ihm einen Umhang, und Royce deckte Nichola damit zu. Gleich darauf gab er den Befehl, die Soldaten im Wald zu versammeln.
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