Die Braut des Satyrs
gepflasterten Terrasse hinter dem
Castello
zu begeben; doch nachdem ihr dies gleichsam mühelos gelungen war, hatte der Leichtsinn sie gepackt, und sie war an den Springbrunnen, den Terrakotta-Amphoren und den schwarzlackierten attischen Vasen vorbeigegangen. Sie ließ die großen Töpfe mit den Limonenpflanzen und die Statuen hinter sich, und traute sich in den Bereich, wo der Garten ein wenig verwilderter wurde und der Eichen- und Zypressenhain begann.
Als sie sich nun umblickte, sah sie die goldene Silhouette von Lyons Heim ein Stück über sich vom Hügel aufragen. Bis dorthin war es nicht weit, also raffte sie ihre Röcke und lief den Weg hinauf nach Hause. Vielleicht schaffte sie es, bevor diese Kobolde sie einholten. Eventuell konnte sie dem Unglück davonlaufen, das ihr auflauerte.
Doch während sie lief, wusste sie, dass ihre Mühe vergebens war, denn die Wichte würden sie einholen und ihr antun, was immer sie wollten. Sie tastete nach dem Hafermehl, das sie weiterhin als Talisman bei sich trug, und schalt sich im Geiste eine Närrin, denn es hatte sich ja hinreichend erwiesen, dass es nicht half. Die Kobolde hatten sie fast erreicht, und es waren weit mehr, als sie jemals zuvor gesehen hatte.
Im nächsten Moment waren sie vor ihr, wo sie ihr schadenfroh den Weg versperrten. Juliette blieb so abrupt stehen, dass sie beinahe zwischen sie kippte. Suchend blickte sie sich nach einer Möglichkeit um, an ihnen vorbeizukommen, aber sie rückten näher, bildeten tanzend einen Kreis um sie, aus dem sie nicht entweichen konnte. Kleine Hände streiften ihre Röcke, und strampelnde Beinchen wirbelten Laub auf. Sie hielten sie in ihrem fröhlichen Ringelreihen gefangen.
»Nonononon!«
, jammerte sie und riss ihre Röcke beiseite. Sie ertrug es nicht, ihnen so nahe zu sein, weshalb sie versuchte, aus dem Kreis zu springen. Zu ihrer Überraschung gelang es ihr, die Koboldkette zu durchbrechen. Unbeirrt folgten sie ihr, bildeten eine lebendige Barriere zu ihrer Rechten, woraufhin Juliette nach links auswich, weg von Lyons Haus. Hinter ihr schlüpften sie grinsend und Pirouetten drehend zwischen die Bäume.
Hier und da lösten sich ein paar aus der Menge und bewegten sich einmal auf der einen, einmal auf der anderen Seite neben ihr. Jedes Mal eilte Juliette in die entgegengesetzte Richtung. Nach wenigen Minuten begriff sie, dass sie ihre Flucht kontrollierten, ja, sie genau dahin trieben, wo die Kobolde sie haben wollten!
Als sie sich umdrehte, um sich ihnen entgegenzustellen, waren sie fort. Sie legte eine Hand auf ihre Brust, um ihr Herz zu beruhigen. Ihr Atem ging so heftig, dass er als heller Dunst vor ihr aufstieg.
Warum waren sie ohne den üblichen Schabernack verschwunden? Hatte etwas sie in die Flucht gejagt? Juliette wandte sich zum
Castello
und machte einen Schritt in diese Richtung.
Als sie jedoch geradeaus blickte, sah sie, dass eine Frau zwischen ihr und dem Haus auf dem Weg erschienen war. Sie war zart, wunderschön – und schockierend nackt, soweit Juliette es sehen konnte. Dunkles dichtes Haar hing ihr halb über das Gesicht, die Schultern und große Teile ihres Körpers. Die langen seidigen Strähnen reichten beinahe bis zu ihren Knien, und sie waren nass. Kam sie gerade aus dem Bad? Oder dem Fluss?
»Mon père et ma mere m’ont abandonné«
, verkündete das Wesen. Seine Worte klangen melodisch, wie ein Singsang.
Juliette presste eine Hand auf ihren Mund.
Mein Vater und meine Mutter haben mich verlassen.
Diesen Satz kannte sie allzu gut. Es waren dieselben Worte, die über der Eingangstür des Hospice des Enfants Trouvés eingraviert waren, das sie als Findelkind aufgenommen hatte.
»Du erinnerst dich, nicht wahr?«, sang die Stimme.
»Was willst du? Wer bist du?«
Die Frau tapste unsicher auf sie zu, bis ihr Bauch gegen Juliettes stieß, und Wasser aus ihrem Haar auf Juliettes Schuhe tropfte. Ein Blick nach unten verriet Juliette, was sie zuerst übersehen hatte: Die Frau hatte einen mächtig geschwollenen Bauch, musste also kurz vor der Niederkunft stehen.
Durch den Haarvorhang waren ihre Gesichtszüge schwer auszumachen, aber auf der Stirn kennzeichnete ihre Haut ein befremdlich schimmerndes Schuppenmuster, das ebenso an ihren Beinen zu sehen war.
Juliette trat ängstlich einen Schritt zurück.
Die Kreatur nahm eine von den unzähligen Ketten ab, die sie trug, gänzlich unberührt von Juliettes wenig freundlichem Empfang. Sie zog die Kette über ihren Kopf und machte Anstalten, sie
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