Die Braut des Silberfinders - historischer Roman
hinein.
Der Weg flachte zusehends ab und wurde bald
vom Hagenwall flankiert, der das Bergdorf umsäumte. Robert ließ das Dorf rechts
liegen und marschierte zügig weiter an den mannshohen Hecken entlang. Es
dauerte nicht lang und er hörte ein Wasserrauschen – das musste die Abzucht
sein, endlich.
Am Kanal angekommen schritt er das Südufer
entlang auf den Berg zu, so musste er unweigerlich auf den Mundstollen stoßen.
Und tatsächlich, schon bald sah er im fahlen Mondlicht das Rinnsal im Fels
verschwinden, und unweit davon zwei Gestalten am Ufer liegen. Wortlos hockte er
sich neben die beiden und sank erschöpft ins Gras.
»Euer Freund redet nicht viel!«, stellte
der Prospektor fest, immer noch außer Atem vom langen Luftanhalten.
Osman musterte Robert von oben bis unten,
sah die vielen Wunden auf dessen freien Oberkörper und die in Streifen an
seinen Beinen herabbaumelnde Hose. »Nicht nur das, Herr, man kann ihn auch
keinen Augenblick allein lassen. Seht nur, wie er sich zugerichtet hat!« An
Robert gewandt fügte er hinzu: »Sag, was hast du bloß mit deiner Hose gemacht,
und wo ist das Hemd abgeblieben?«
»Zwischen mir und dem Kanalwänden passte
kein Seidenfaden mehr, geschweige denn ein festes Leinenhemd. So hab ich’s halt
im Stollen liegen lassen.«
Ungläubig starrte Leonhardt auf Roberts
Wunden, offenbar waren sie ihm bislang verborgen geblieben, da er viel zu sehr
mit sich selbst beschäftigt war. Als habe sich ein Schleier über seine Augen
gelegt, verlor sich sein Blick plötzlich in der Ferne, dann begann er,
unentwegt seinen Kopf zu schütteln. Es schien so, als habe er erst jetzt
begriffen, dass sie nur um Haaresbreite dem Tode entronnen waren.
»Meine Überheblichkeit hätte beinahe unser
aller Leben gekostet«, sagte er schließlich und rang ganz offensichtlich mit
den Tränen. »Bitte vergebt mir diese unverzeihliche Dummheit.«
»Lasst gut sein, Herr! Es war vor allem die
Neugier, die Euch antrieb, und davon haben wir beide selbst genug abbekommen.
Wir leben noch, das ist das Wichtigste!«
»Und Ihr, Robert, könnt auch Ihr mir verzeihen?
Ihr seht fürchterlich aus!«
Robert blickte an sich hinunter, gerade so,
als habe er seine Verletzungen noch gar nicht wahrgenommen. »Sieht schlimmer
aus als es ist, macht Euch mal keine Sorgen! Wir beide haben schon ganz andere
Sachen erlebt, nicht wahr, Osman?«
»Richtig, Herr! Keine zwei Monate ist’s
her, da wäre ich beinah zweimal an einem Tage ersoffen, ganz zu Schweigen
davon, was Robert alles widerfahren ist. Damals hättet Ihr ihn sehen sollen,
dagegen schaut er heute aus wie frisch aus dem Ei gepellt!«
»Ihr scheint ja ein aufregendes Leben zu
haben!« Zum ersten Mal huschte ein Lächeln über Leonhardts Gesicht.
Augenscheinlich war er froh darüber, dass ihm die beiden so leichthin vergeben
konnten. Doch schnell verdüsterte sich seine Miene wieder. »Wenn ich dagegen an
das meine denke, so kann ich mir kaum ein faderes Dasein vorstellen.«
»Glaubt mir, an Abenteuer verlangt es einen
nicht, wenn das eigene Leben auf dem Spiel steht. Bestenfalls im Nachhinein und
mit einigem Abstand mag man mit einem wohligen Schauer daran zurückdenken. Ich
für meinen Teil kann jedenfalls bis ans Ende meiner Tage auf weitere Abenteuer
verzichten! Doch lasst uns ein andermal darüber reden, so ganz ohne Hemd wird’s
mir allmählich ein wenig kühl. Ich möchte mir nur noch meine Kleider holen und
mich dann ins Bett legen.«
»Nichts da!«, entgegnete Leonhardt keinen
Widerspruch duldend. »Ihr beide kommt jetzt mit zum Bader. Er soll sich um
Roberts Wunden kümmern und Ihr, lieber Osman, könnt ein heißes Bad gebrauchen.
Um nichts in der Welt lasse ich es zu, dass Ihr heute in Euer verwanztes Heim
zurückkehrt.«
*
Kurz darauf standen sie vor des Baders Haus und holten ihn mit
lautem Gepolter aus seinem Bett. Mit finsterem Blick öffnete er einen
Spaltbreit die Tür, in der Hand einen Dolch, doch rasch hellte sich seine Miene
auf, als er sah, wer ihn da mitten in der Nacht einen Besuch abstattete.
»Der Herr Prospektor, was für ein
überraschender Besuch, so mitten in der Nacht!« Erst jetzt sah er an Leonhardt
vorbei auf die beiden Gestalten hinter ihm und das Lächeln gefror auf seinen
Lippen, zutiefst enttäuscht, dass der Prospektor statt der jungen Dinger, die
er sonst mitbrachte, wenn er zur nachtschlafenden Zeit kam, zwei abgerissene
Mannsbilder dabei hatte.
»Aber lieber Herr Prospektor, seit wann
kommt Ihr in
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