Die Braut des Silberfinders - historischer Roman
laut aufschreien, als er von der Wand gehoben
wurde, doch sein Hals war staubtrocken und so wurde nur ein leises Röcheln
draus. Seine Arme, an denen er eine ihm ewig erscheinende Weile von der
Kerkermauer hing, baumelten wie zwei Säcke ohne jedwedes Gefühl an ihm herab.
Totes Fleisch, dachte Leonhardt ohne Bedauern, hatte er doch ohnehin schon mit
seinem Leben abgeschlossen.
Plötzlich schoss Blut durch seine Arme, nur
schien es voller Dornen, die wie toll von innen in seine Haut stachen. Dieser
Schmerz, so unangenehm er auch war, weckte seine Lebensgeister und so öffnete
er blinzelnd die Augen.
Eine Handvoll Männer stand um ihn herum,
zwei von ihnen wuschen das Blut von seinem Körper und reinigten die Wunden, die
ihm zugefügt wurden, ein anderer zog ihm seine Stiefel über die blutigen Füße,
die meisten jedoch schauten nur belustigt dem Treiben zu. Schließlich hakten
zwei der Kräftigsten von ihnen Leonhardt unter, schleiften ihn aus dem modrigen
Kellergewölbe hinaus ins Freie und warfen ihn unsanft in einen vergitterten
Karren.
Leonhardt lag auf dem Rücken, bestenfalls
eine handbreit Stroh zwischen sich und dem harten, unebenen Karrenboden.
Sämtliche Glieder taten ihm weh, ganz zu schweigen von seinen Füßen mit den
ausgerissenen Nägeln, und dennoch, angesichts der Morgendämmerung, die
leuchtend rot den neuen Tag willkommen hieß, durchlief ihn ein Schauer der
Seligkeit. Auf einmal schöpfte er angesichts der Erhabenheit von Gottes Werk
wieder Hoffnung, dass sich alles doch noch zum Guten fügen werde.
Schwerfällig holperte das Gefährt über
grobe Pflastersteine, die Hufe der Pferde hallten hohl zwischen den eng
aneinanderstehenden Holzhäusern. Bislang war in der Stadt kein Mensch
unterwegs. Leonhardt war es nur recht, so bekam niemand zu sehen, wie er, einem
wilden Tier gleich, in einem vergitterten Karren durch die Gassen gezogen
wurde, wenigstens diese Schande blieb ihm erspart.
Doch wohin ging die
Reise?
Soweit er wusste, gab
es in Goslar nur einen Kerker, warum hätte man ihn auch von dem einen in einen
anderen bringen sollen? Der weitere Weg führte sie direkt zum Ortskern, also
ging’s auch nicht in eine andere Stadt. Leonhardt konnte sich keinen Reim aus
der nächtlichen Prozession machen, bis sich einige hundert Schritte voraus die
Häuserreihen lichteten, um Raum zu geben für einen großen freien Platz. Im
Zwielicht erkannte er die Konturen des Rathauses und plötzlich fröstelte es
ihn, obwohl es trotz der frühen Morgenstunde bereits recht warm war, bedeutend
wärmer als im Kerker allemal.
Es war der Schatten des Galgens, der sich
bedrohlich gegen den blutroten Himmel abzeichnete, und jäh erschien ihm die
Morgendämmerung alles andere als beruhigend. Heute war also der Tag der
Hinrichtung gekommen, und er wusste noch nicht einmal, warum er eigentlich
hängen sollte.
*
»Halt, Moment, ihr könnt nicht so einfach …«, rief Alfred Adara
hinterher, sie scherte sich allerdings nicht im Geringsten darum. »Dann geht
eben hinein, ist eh egal!«, hörte sie ihn resigniert murmeln, bevor sie die Tür
zu Hauptmann Dörrkamps Dienstzimmer hinter sich zuzog.
Es war früh am Morgen, und ebenso wie es
draußen dämmerte, so dämmerte der Hauptmann in den neuen Tag hinein, mit
offenen Augen zwar, aber dennoch anteilslos saß er auf seinem Stuhl und
starrte vor sich hin.
Im ersten Moment erschrak Adara, hätte doch
ein Toter nicht lebloser aussehen können, als sie allerdings sein leises
Schnarchen hörte, musste sie schmunzeln.
»Herr Hauptmann, geht’s Euch gut?«
Keine Reaktion. Sie versuchte es ein
zweites Mal, erheblich lauter nun, Dörrkamp wollte jedoch immer noch nicht ins
Hier und Jetzt zurückkehren. Angesichts dieses Trauerspiels ließ Adara
endgültig sämtliche Hoffnungen fahren, dass dieser Mann die Anschuldigungen,
die man gegen ihren Leonhardt erhob, ins rechte Licht rücken würde. Verärgert
stupste sie ihn an und er fuhr erschrocken zusammen.
»Adara, was macht Ihr denn hier?«, fragte
Dörrkamp erstaunt, nachdem er sich halbwegs gesammelt hatte.
»Ich brauche Eure Hilfe, Herr Hauptmann«,
kam Adara schnell aufs Wesentliche. »Nach wie vor will ich nicht glauben, dass
Leonhardt einen derartigen Unsinn verzapft hat, doch wie soll ich seine
Unschuld beweisen, wenn niemand, der an seinem angeblichen Verbrechen beteiligt
war, mir Rede und Antwort stehen kann, er selbst eingeschlossen? Lasst mich
bitte mit ihm sprechen, nur ganz kurz – gebt mir die
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