Die Breznkönigin: Roman (German Edition)
ihm erzählt: von meinen Fluchtfantasien und davon, dass ich immer weg wollte aus Bayern, dass ich das Gefühl hatte, nicht das Leben zu führen, das ich eigentlich führen will. Und ich habe ihm auch von meiner Angst erzählt, dass mein Leben, wenn ich jetzt hierbleibe, endgültig entschieden ist. Aber dann, noch während ich das erzählte, ist etwas Seltsames passiert. Der Papa ist reingekommen, hat sich ein Bier geholt und ist dann wieder in seiner Scheune verschwunden. Und in dem Augenblick habe ich etwas Wichtiges kapiert.
Ich hab mich ja immer wahnsinnig darüber aufgeregt, dass der Papa sich aus allem immer nur raushält und sich für unser schönes Wirtshaus einen feuchten Dreck interessiert. Ich habe mich nicht nur über ihn geärgert, ich habe ihn sogar manchmal regelrecht verurteilt, wenn ich ehrlich bin. Aber in diesem Augenblick, in dem er sich sein Bier geholt hat und anschließend wieder in seinem Reich verschwunden ist, habe ich verstanden, dass sein Leben auch ein Stück Wahrheit für meines enthalten könnte. Ein kleines zumindest.
Könnte es nicht sein, dass es für mich nicht nur zwei Möglichkeiten gibt? Entweder wegzugehen und meinen Traum zu verwirklichen oder hierzubleiben und Biere zu servieren? Dass es etwas dazwischen gibt? Könnte ich nicht einfach hierbleiben und mein Leben trotzdem in die Hand nehmen? Könnte ich nicht, statt zu fliehen, einfach mein Leben hier so verändern, dass es gut ist?
Eines hatte ich nämlich kapiert: In Wirklichkeit macht es mir nichts aus, im Wirtshaus zu schuften, überhaupt nicht. Ich mag die Arbeit, den Stress, die Gäste. Aber ich brauche einen Ausgleich. Einen Platz, an dem ich ich sein kann. Als ich nach Berlin gekommen bin, habe ich gedacht, dass die Stadt dieser Ort ist, und vielleicht wäre sie es irgendwann auch geworden. Nur: Der Traum, den ich dort gelebt habe, war gar nicht mein Traum. Berlin hat mich nicht dazu gebracht, ich selbst zu werden. Berlin wollte, dass aus mir eine Berlinerin wird – na ja, zumindest wollten das die Berliner, die ich getroffen habe. Dabei weiß ich gar nicht, was das eigentlich sein soll, eine Berlinerin. Es gibt ja noch ganz andere Leute in dieser Stadt, nicht nur die, die in Stefanidis-Klamotten durchs Nachtleben ziehen. Mittlerweile denke ich an diese Fanny, die mit Gin-Tonic-Gläsern in Bars herumsteht, wie an einen fremden Menschen, an einen netten zwar, aber doch an einen, dem ich nie so richtig nah gekommen bin. Ich bin dort einfach nicht ich selbst gewesen.
Wo bist du denn du selbst, wollte der Max dann wissen, und dann habe ich ihm von meinem alten Traum von einer eigenen Goldschmiedewerkstatt erzählt. Komisch, oder? In dem Augenblick, als ich Max in die Augen geschaut hab und er mich gefragt hat, wo denn da das Problem ist, hab ich selbst es auch nicht mehr gesehen. Mit einem Mal war alles ganz einfach.
Ich gehe an Papas Scheune vorbei und öffne die Tür, die in den neuen Raum an der Rückseite führt. Früher war hier nur eine Art Veranda, ein Dachvorsprung, unter dem wir den Rasenmäher und irgendwelches Geraffel aus dem Garten parkten. Aber der Max hat ringsum Wände hochziehen lassen und riesige Fenster eingebaut, es gibt jetzt eine Heizung und Strom. Ich habe mir einen Werktisch gekauft und eine Tageslichtleuchte, eine Karatwaage und ein Lötgerät. Klar, bis es eine richtige voll ausgerüstete Werkstatt ist, fehlen mir noch ein paar Sachen. Ich beobachte auf eBay ein ganz tolles Punktschweißgerät, und wenn das nicht zu teuer wird, dann starte ich hier richtig durch. Ein bisschen angefangen habe ich sogar schon, mit niedlichen, kleinen Ohrsteckern, winzigen, zarten Origami-Blüten, die ich aus Goldfolie unter der Ringlupenleuchte gefaltet habe. Die muss ich unbedingt noch fertig machen und morgen früh nach Berlin losschicken, damit sie pünktlich am Montag im Laden liegen.
Ja, richtig. Ich bin vor zwei Wochen noch einmal nach Berlin gefahren, mit meinen schönsten Schmuckstücken im Gepäck, alten aus Pforzheim und den paar Arbeiten, die ich in den letzten Wochen geschmiedet habe. Und mit denen bin ich direkt in die Potsdamer Straße gelaufen, zum Laden von Stefanidis. Der Inhaber hat sich tatsächlich noch an mich erinnert, zum Glück, also habe ich ihm meine Arbeiten auf den Tresen gelegt und ihn dann mit pochendem Herzen gefragt, ob er sich vorstellen könnte, das eine oder andere Stück in seinem Laden zu vertreiben. Er fand die Idee sofort super, hat sich richtig über mein Angebot
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