Die Breznkönigin: Roman (German Edition)
grenzenlos, und ein heller Dunst hängt wie eine staubige Decke darüber. Eben haben wir eine riesige Plattenbausiedlung überflogen, jetzt entdecke ich den Fernsehturm, der mir aus diesem unglaublichen Moloch wie eine kleine, diamantbesetzte Krawattennadel entgegenglitzert.
Ich meine, es ist nicht so, dass ich mich nicht prinzipiell freuen würde auf Berlin. Doch, doch, das tu ich schon irgendwie. Immerhin hat mir Bea den ganzen Winter über haarklein erzählt, wie toll die Stadt ist, wie vibrant und thrilling und inspiring (idiotische neue Angewohnheit von ihr, dass sie plötzlich denkt, die richtigen Worte nur noch auf Englisch zu finden). Sie hat mir ausführlich berichtet, wie großartig die Cafés dort sind, und die Läden und Kneipen und Boutiquen. Und die Clubs. Und als ich gefragt hab, was sie meint, Diskos? Da hat sie nur den Kopf geschüttelt und » Fanny « gesagt, als hätte ich irgendwas nicht kapiert.
Überhaupt war es ungefähr so ähnlich, wie wenn man befürchtet, dass man schwanger ist. Egal, wo man hingeschaut hat, war plötzlich Berlin, im Fernsehen und in den Zeitschriften, und überall hieß es, dass es die aufregendste, coolste, hippste, kreativste und lebenswerteste Stadt der Welt sei. Ich hab es so oft gehört, dass ich gar keine rechte Kraft mehr hab, die Sache anzuzweifeln. All die Leute da draußen, die können doch nicht irren. Und hat nicht sogar John F. Kennedy den Satz gesagt: » Ich bin ein Berliner«? Ich werde jetzt auch einer, aber, um die Wahrheit zu sagen: Ich fühle mich einfach bloß wie ein kleines Mädchen, das zum ersten Mal allein in die Schule marschiert.
Ich umfasse den Diamanten an meinem Hals, als das Flugzeug noch tiefer sinkt. Mit der anderen Hand umkralle ich den Reiseführer, den ich mir am Flughafen gekauft habe, um ihn während des Fluges zu lesen, und den ich dann aber doch kein einziges Mal aufgeschlagen habe. Ich bin halt immer noch keine Profifliegerin, gell. Trotz der 18-Stunden-Odyssee zu Beas Hochzeit in der Karibik. Die Dächer unter uns rücken immer näher und ich schließe die Augen. Dann landen wir, so hart und ruppig, dass sich aus dem Typen neben mir ein gewaltiger Rülpser löst. Ich wende mich unauffällig ab und versuche, flach zu atmen. Es dauert eine Ewigkeit, bis die Maschine endlich steht und das Signal zum Lösen der Gurte erklingt. Ich schließe noch einmal kurz die Augen, dann öffne ich sie.
Da ist er. Ich entdecke ihn gleich, als ich aus dem Flughafengebäude in die kalte Februarsonne trete: Quirin Eichelmann, mein neuer Chef, wieder mit Pilotenbrille auf der Nase, dickem Schal überm Tweedsakko, lässig an seinen schwarzen Daimler gelehnt.
Fast muss ich lachen, als ich ihn erblicke.
» Hey! Welcome, Fanny!«, ruft er.
Er macht einen Schritt auf mich zu und breitet die Arme aus, als würde er die Welt bejubeln oder mir das Schloss Versailles präsentieren oder was weiß ich, dabei befinden wir uns nach wie vor bloß im traurig-grauen Innenhof des Flughafens Tegel, der im Vergleich zum Franz-Josef-Strauß-Flughafen in München wie der lange nicht benutzte Seitenflügel eines baufälligen Krankenhauses wirkt.
Ich halte Quirin höflich die Hand hin, aber er drückt mich direkt an sich, als sei ich eine alte Freundin und er wahnsinnig glücklich, mich zu sehen. Dann wirft er zwei Küsse in die Luft, einen über meine linke Schulter, einen über meine rechte.
» Lass dich ansehen! Wie war dein Flug?«
Er nimmt mir das Gepäck ab und wuchtet es in den Wagen. Ich habe bloß meinen großen alten Wanderrucksack dabei, ein Mordsgerät, das mein Vater vor ungefähr zwanzig Jahren mal gekauft hat, als er mit den Fußballern ins » Trainingslager« nach Garmisch gefahren ist. Natürlich nicht, um Sport zu treiben, sondern damit sich die ganze Mannschaft mal wieder ohne Ehefrauen in trauter Eintracht und aller Ruhe schön einen in den Tank kippen konnte. Seither ist der Rucksack auf dem Speicher gelegen, direkt neben dem alten, staubigen Köfferchen aus Kunstleder, mit dem das Omilein Mitte der Achtzigerjahre mal wegen Pfeifferschen Drüsenfiebers im Krankenhaus war. Er lag da, bis ich ihn dann hergenommen hab, um damit nach Pforzheim zu ziehen. Seither hänge ich an dem Ding. Er ist mit mir auf die Virgin Islands geflogen, und jetzt hierher.
» Nett, dass du mich abholst, Quirin.«
» Selbstredend!«, sagt er, öffnet mit Schwung die Beifahrertür, bevor er sie ebenso schwungvoll wieder hinter mir zuknallt.
» Wir fahren gleich als
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