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Die Brillenmacherin

Die Brillenmacherin

Titel: Die Brillenmacherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Urteil gesprochen. Vor den Brüdern soll man beichten? Und die Weiber vor den Weibern, ja?« Er tat einen weiteren Schritt auf den Gefesselten zu. »Was ist mit der Beichte vor dem Priester?«
    »Kein Priester kann Sünden vergeben. Das kann allein Gott. Und leere Formelgebete sind keine passende Sühne, der Allmächtige verzeiht und schenkt uns dies, wir können nicht mit unseren Lippen oder unseren Knien einen Teil davon erarbeiten.«
    »Verleumder!« Courtenay glühte. »Bist du bereit, dich den Regeln und Traditionen der Kirche zu unterwerfen? Andernfalls soll dich dieses Feuer verbrennen.«
    »Die Regeln der Kirche sind die Regeln Gottes. Ich unterwerfe mich ihnen nach allen mir zur Verfügung stehenden Kräften.«
    Schon wieder verblüffte er ihn. Courtenay wankte einige Schritte zurück. Er war bereit, von seinen Irrtümern abzurücken? Das mußte doch eine Finte sein? »Schwöre bei Gott!«
    »Ich schwöre es bei Gott.«
    Nun saß er in der Falle. Courtenay lächelte. »Die Kirche befiehlt die Beichte vor einem Priester. Diesem stimmst du nun also auch zu, nachdem du geschworen hast, der Kirche zu gehorchen. Du bist gezwungen – sonst würdest du deinen ersten Schwur brechen.«
    »Die Beichte vor einem Priester ist nutzlos, denn er kann keine Sünden verzeihen.«
    »Du wagst es, Gott zu verspotten, indem du deinen Schwur brichst?«
    »Ich breche ihn nicht. Ich unterwerfe mich den Regeln der Kirche.«
    »Also mußt du an die Beichte glauben!«
    »Mitnichten. Die Kirche lehrt das nicht.«
    |296| »Du willst mir erklären, was die Kirche lehrt?«
    »Ich sprach von der unsichtbaren Kirche, die sich aus allen Geretteten zusammensetzt, aus denen, die Gott wahrhaftig verehren.«
    »Ist das nicht die gleiche katholische Kirche, die die Beichte lehrt?«
    »Nein. In der Kirche, die du meinst, sind Gerettete und Verlorene enthalten. Der katholischen Kirche anzugehören heißt noch nicht, auch Teil von Gottes Gemeinde aus Nachfolgern Christi zu sein.«
    »Verlorene in der Kirche!« Courtenay breitete die Arme aus und drehte sich zu den Zuhörern um. »Habt ihr es vernommen?« Aber sie waren noch nicht zufriedengestellt. Er konnte den Zweifel von ihren Gesichtern ablesen. Einige bemitleideten den Alten am Feuer, viele hatten nicht begriffen, warum er sterben sollte. Ein Widerruf war nötig. Hereford sollte mit eigenem Mund gestehen, daß er dem Bösen diente. Allerdings fürchtete dieser teuflische Doktor nicht den Tod, und darum war er nicht dazu zu bewegen. Nun, er würde den Schmerz fürchten. Kein menschliches Wesen war unempfindlich für den Schmerz, irgendwann brach der Widerstand, irgendwann kamen die Schreie und die Reue und die Willenlosigkeit. »Rückt ihn näher an das Feuer heran.«
    Man schaffte Doktor Hereford zu den Flammen hin. Er ächzte und verzog das Gesicht. Schweiß tropfte ihm von der Stirn. Die Augen irrten umher, die Schultern zog er bis zum Kopf hinauf, weil ihn die Hitze biß. Ja, so war es gut. Er würde nicht mehr klar denken können.
    Der Doktor rollte sich in die Funken am Boden und robbte fort vom Feuer.
    »Stangen!« rief Courtenay. »Er soll beim Feuer bleiben!«
    Man richtete Speerspitzen auf den Alten und stach ihn damit, bis er brüllend zum Feuer zurückkehrte. Der lodernde Tod knackte einige Äste und stiebte Feuerskinder in den Himmel.
    »Fühlst du es? Das Ende naht. Du wirst brennen. Sage mir, |297| glaubst du, daß sich das Abendmahlsbrot in Christi Körper verwandelt?«
    »Nein«, röchelte der Alte.
    »Also verneinst du Gottes Allmacht? Du willst doch nicht sagen, auch Moses’ Stab habe sich nicht in eine Schlange verwandelt?«
    »Doch, das hat er.« Hereford neigte weit den Kopf nach vorn, um der Hitze der Flammen zu entgehen. Seine weißen Haare kräuselten sich. An den Enden der Haare bildeten sich schwarze Klümpchen. »So steht es auch in der Schrift.«
    Courtenay lachte auf. »Das sind die Lollarden – schauen hier, schauen dort: Hier jenes Wort, dort dieses. Sie glauben an Buchstaben, Buchstaben! Die heilige Kirche mit jahrhundertealter Weisheit wollt ihr verwerfen?«
    »Allein die Schrift bewahrt uns davor«, ächzte Doktor Hereford, »uns über die Jahrhunderte in das Reich der Lüge zu verirren.«
    Das Feuer knisterte bedrohlich. Es griff nach Herefords Körper, es umschmeichelte ihn, als wollte es ihn zärtlich in den Tod hineinlocken.
    »Im Brief an die Hebräer heißt es: Wenn wir mutwillig sündigen, nachdem wir die Erkenntnis der Wahrheit empfangen haben, haben

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