Die Brillenmacherin
wir hinfort kein andres Opfer mehr für die Sünden, sondern nichts als ein schreckliches Warten auf das Gericht und das gierige Feuer, das die Widersacher verzehren wird. Es ist bereit, Hereford, es ist bereit, dich zu verzehren. Siehst du die Spieße? Ich lasse dich erstechen und ohne Qualen bei totem Leibe verbrennen, wenn du mir zuvor sagst, wo die Pergamente versteckt sind, auf die du dein übles Werk ergossen hast. Und wenn du gestehst, vom Bösen verleitet worden zu sein. Deine Schmerzen können ein Ende haben!«
Hereford stand auf. »Ist mein Wort nicht wie ein Feuer, spricht der Herr, und wie ein Hammer, der Felsen zerschmeißt?« Er keuchte die Worte. Es klang wie ein Fluch. »Je remia dreiundzwanzig, kennst du die Stelle? Du bist es, der sich fürchtet. Gottes Wort, in englischer Sprache und jedermann |298| verständlich, wird dich zertrümmern. Es wird die Kirche zertrümmern, so daß wir sie neu errichten können nach Gottes Willen.«
In die Flammen mit ihm! Courtenay krampfte die Hände in den Saum seines Hemdes. Es drängte ihn, Hereford in das Feuer zu stoßen. Er mußte brennen, unverzüglich, Hereford mußte vernichtet werden vor aller Augen nach diesen Worten.
Es ging nicht. Die Pergamente waren unversehrt. Starb der Doktor, bevor er sie preisgab, so lebte sein Werk weiter. Und er würde recht behalten: Es würde Courtenay zertrümmern, es würde die Kirche zertrümmern. »Ketzer«, zischte er. »Erkennst du deinen Frevel? Wie kannst du Gottes Kirche zerstören wollen? Merkst du nicht, daß dich eine Horde Dämonen reitet? Der Böse flüstert dir das ein, daß die Kirche vernichtet werden muß.«
»Nicht der Böse«, hauchte Hereford, »Gott straft. Ja, mitunter straft das liebevollste aller Wesen, um zum guten Weg zurückzuführen.«
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Das Altarlicht hing an drei Ketten von der Decke der kleinen Kapelle herab, ein rotgläserner Trichter, mit Öl gefüllt. Es leuchtete nicht nur das Flämmchen, es leuchteten der Trichter, das Öl, die Bronzeketten. Ihr Schimmer füllte den Raum wie eine leise Musik. Obwohl die Kapelle ungeschmückt war – Catherine vermißte Heiligenbilder, Seitenaltäre, Reliquienschreine, nicht einmal ein Kreuz hing an der Wand –, glänzte das Licht als schlichte Schönheit an den Wänden. »Der Raum leuchtet«, flüsterte sie.
»Die Kirche unten im Dorf sieht mehr nach einer Kirche aus«, sagte Latimer. »Aber abgesehen davon, daß wir sie im Augenblick nicht erreichen können, ohne uns einem Pfeilhagel auszusetzen, ist hier immer noch der Platz, an dem es sich am besten beten läßt. Nichts lenkt die Gedanken von Gott ab, versteht Ihr?«
Thomas Latimer mußte Gott sehr nahe sein. In die Saint-Nicholas-Kirche war sie in Nottingham gegangen, weil ihr die Wandbilder gefielen! Konnte sie Gottes Gegenwart überhaupt ertragen? Hatte sie sich im Gottesdienst nicht bisher mit Wandschmuck, Liedern und Tuscheleien von ihm abgelenkt, weil sie spürte, daß sie seiner Nähe unwürdig war? »Ich weiß nicht, ob ich wirklich die Richtige bin, um …«
Sir Latimer kniete nieder vor dem Altar. Auf den Eisenschienen an seinen Armen spiegelte sich das rote Licht. Er paßte wunderbar hinein in diesen glühenden Raum: Das goldene Kreuz auf dem Rücken seines Waffenrocks ersetzte das Kreuz an der Wand, und der blutrote Waffenrock fügte sich in den Schimmer, als wäre seine Farbe hier geboren. »Kommt, kniet nieder.«
Sie kniete sich neben ihn.
|300| »Ich bete zuerst, dann Ihr. Es ist nicht schwer. Sagt einfach, was Euch auf dem Herzen liegt. Wenn Ihr die Bibel lest, werdet Ihr feststellen, daß es zu allen Zeiten so war; so haben die Menschen mit Gott gesprochen. Erst in den letzten Jahrhunderten haben wir angefangen, Formeln zu beten.«
»Ich kann nicht lesen. Erklärt Ihr mir, wie –«
»Schweigt. Wir beten.«
Sie lauschte, wartete. Thomas Latimer sagte nichts. Still kniete er da, sein Atem ging ruhig, er hielt die Augen geschlossen und ließ sich vom Lichtschimmer die Stirn küssen.
Dann sprach er plötzlich los: »Unser Vater im Himmel, groß ist dein Name. Du hast uns heute aus der Hand unserer Feinde errettet, weil es dir so gefallen hat. Wir danken dir, daß wir leben dürfen und die Burgwälle uns beschützen, so wie es deine Engel tun.«
Er schwieg.
»Ich sorge mich um Doktor Nicholas Hereford. Er hat die Arbeit noch nicht beendet, und er ist …« Er stockte. »Er ist ein guter Freund geworden. Konnte er rechtzeitig fliehen? Dann danke ich dir.
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