Die Brillenmacherin
Oder ist er in Courtenays Hände gefallen? Herr, hilf ihm zu entkommen! Er ist dein Diener und braucht deine Hilfe. Wenn er nicht entkommen kann, dann befähige mich, ihn auszulösen, ihn zu befreien!«
Catherine sah den Ritter von der Seite an. Er redete, als würde der allmächtige Schöpfer ihm zuhören wie einem Kameraden.
Thomas sagte: »Amen. Nun bete du.« Er sah sie nicht an, weiter hielt er die Augen geschlossen, beugte nur ein wenig den Nacken. Es war still in der Kapelle.
An ihrem Hals pochte eine dicke Ader. Catherine zerkaute sich die Lippen. Sie schloß die Augen, sagte: »Gott … bitte …« Warum hatte sie das Gefühl, ein riesenhaftes Gesicht würde sie wütend anstarren? »Ich habe … ich wollte …« Ihr war, als müßte sie sich unter einen Schlag ducken. »Ich kann das nicht, Sir Latimer.«
»Doch, du kannst es. Versuch es noch einmal! Gott hört dir |301| zu. Er will, daß wir mit ihm sprechen. Wie Kinder sollen wir zu ihm kommen, so hat es Jesus Christus erklärt.«
Wie Kinder. Catherine stellte sich das wütende, riesenhafte Gesicht vor. »Vergib mir, Gott, ich wage nicht … mit dir zu sprechen.« Sie wartete. Nichts geschah. »Du weißt, ich bin schuld daran, daß man Doktor Hereford auflauert. Es tut mir leid! Ich habe mich nur um mich gekümmert und nicht danach gefragt, wie es anderen ergeht. Das war falsch, es war grauenvoll! Verzeihst du mir?« Und plötzlich war ihr, als würde das Gesicht freundlicher werden. »Du verzeihst es? Das … Ich … Das ist wunderbar! Hilf ihm, daß er gesund hierherkommt, nicht jetzt, aber wenn die Gefahr vorüber ist. Steh ihm bei! Ich danke dir. Ich danke dir! Amen.« Sie riß die Augen auf und sah in das Gesicht des Ritters.
»Siehst du? Es ist nicht schwer.« Obwohl sein Mund ernst war, lächelten seine hellen Augen.
Was hatte sie getan? Hatte sie tatsächlich mit Gott gesprochen?
Der Ritter stand auf. »Gott wird Engel aussenden, die Doktor Hereford beistehen.«
Warum sprach er so leise? Er bedachte sie mit einem merkwürdigen Blick, die Augen plötzlich dunkler, weicher.
»Trotzdem will ich tun, was ich kann. Mitunter baut der Herr auf die Taten von uns Menschen. Wir sind ihm viel wert, verstehst du? Deshalb gebraucht er uns, und es ist eine Ehre, für ihn arbeiten zu dürfen.«
Sie nickte.
»Bist du bereit, an Doktor Herefords Befreiung mitzuarbeiten?«
»Ich?«
»Natürlich sollst du nicht das Schwert führen. Erzbischof Courtenay glaubt, du bist treu auf seiner Seite, ist es so?«
»Ja, er glaubt das.«
»Dann gehe zu ihm. Du mußt nicht lügen – Gott unterstützt uns nicht, wenn wir die Unwahrheit sagen. Nein, sprich offen: Ich schicke dich, damit du Sligh im Austausch |302| gegen Doktor Hereford anbietest. Sagt er nein, dann stelle ihm zusätzlich die Manuskripte der Bibelübersetzung in Aussicht, die hier in Braybrooke Castle versteckt sind. Sieh dich im Lager um. Ich muß wissen, welches Kriegsgerät er vorbereitet und wie viele Ritter er versammelt hat.«
»Was, wenn er mich festhält? Wenn seine Antwort nein ist. Welchen Grund gibt es für ihn, mich zu Euch zurückzuschicken?«
»Er hält dich für seine Spionin. Es wäre dumm von ihm, dich nicht wieder bei mir einzuschleusen.«
»Ich … Ich will es tun, aber ich habe Sorge, von meiner Tochter getrennt zu werden. Sicher schickt er mich zurück, sehr sicher, aber wenn wir uns irren und er es nicht tut? Dann ist Hawisia hier allein. Wer gibt ihr Milch? Ich habe sie schon viel zu oft im Stich gelassen.«
»Nimm sie mit dir. Und mach dich gleich auf den Weg. Sollte er tatsächlich Doktor Hereford haben, wird er nicht zögern, ihn zu töten. Er wird ihn fragen, wo die Bibelübersetzung versteckt ist, und ihn foltern. Solange er schweigt, lebt er. Hereford ist ein alter Mann. Er wird nicht viel aushalten.« Sir Latimer öffnete die Kapellentür.
Sie traten hinaus. Es war dunkel geworden. Catherine eilte über den Burghof. Sie verspürte keine Angst, sie war taub vor Glück. Nicht lügen! sagte er. Und: Nimm dein Kind mit! Er war gut, durch und durch gut. Und sie hatten allein in der Kapelle gekniet und gebetet, als wäre sie seine Vertraute. Sie würde es wiedergutmachen!
Vor der Pforte zur Küche, die Hand schon auf dem Türknauf, bremste sie sich. Sie hielt inne und horchte. Es war still. Hawisia schlief. »Hawisia, mein Mäuschen«, wisperte sie, schloß die Tür hinter sich. Auf halbem Weg zu Hawisias kleinem Lager bemerkte sie eine fremde Gestalt, die am Fenster
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