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Die Brillenmacherin

Die Brillenmacherin

Titel: Die Brillenmacherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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verbotene Bücher, fördern die Ketzerei unter ihren Hörigen. Sie werden das nicht bestreiten. Frage sie! Ich spreche die Wahrheit.«
    »Ich habe mit Sir Latimer gebetet. Er spricht zu Gott wie zu einem Freund. Nie habe ich so etwas gehört. Ein Teufelsanbeter könnte den Namen Gottes überhaupt nicht in den Mund nehmen. Sir Latimer ist Gott nahe, sehr nahe sogar.«
    »Oh, meine Liebe, hat das Böse so Besitz ergriffen von dir, daß du nicht mehr zu denken vermagst? Du hättest dich wundern sollen, daß er so überfromm aussieht! Ist es denn dem Bösen nicht eigen, daß es im Schafspelz erscheint? Von Thomas Latimer hast du nur das Schlimmste zu erwarten. Er ist der verborgene Kopf der Gruppe, sie sind wie ein widerwärtiger Schlangenkörper, und Latimer ist der Kopf.«
    »Ich weiß nicht mehr, was ich glauben soll.«
    »Das verstehe ich.« Weich war seine Stimme und warm. Er |338| legte ihr die Hand auf die Schulter, sie wärmte durch das Kleid. »Ich erwarte auch nicht, daß du mir blind vertraust. Eben darin unterscheide ich mich von den Ketzern. Haben sie dir einen Beweis geliefert dafür, daß ich das Schlechte will? Haben sie dir bewiesen, daß ihre Reform eine gute Kirche hinterlassen wird? Nein. Ich aber gestatte dir, daß du meine Aussagen überprüfst. Du sollst zu Thomas Latimer gehen und ihn fragen. Alles, was ich gesagt habe, wird er gestehen. Versprichst du mir, daß du ihn fragen wirst?«
    Sie zögerte. »Ich verspreche es.«
    »Während du zur Burg zurückwanderst, sende ich deinen Bruder Alan in weitem Bogen durch die Wälder zur Rückseite von Braybrooke Castle. Du wirst genug Zeit haben, mit Thomas Latimer zu sprechen. Im Laufe des Gesprächs, sobald du von der Richtigkeit meiner Worte überzeugt bist, leitest du ihn zum Fenster an der Ostseite seines Herrenturms.«
    Alan … Die Ostseite … Der Bruder sollte den Ritter erschießen. »Ich kann das nicht.«
    »Das hast du schon einmal gesagt. Erinnerst du dich, wie es damals plötzlich doch ging?«
    Eine böse Ahnung kroch ihr in die Knochen. Sie klammerte Hawisia fester an sich. »Bitte«, wisperte sie, »bitte tut das nicht.«
    Die Stirn des Erzbischofs bekam Falten. »Es geht ihr gut, bis heute abend. Höre ich dann kein Klagegeschrei aus der Burg –« Er machte eine knappe Handbewegung.

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    |339| 30
    Alan stützte sich an einem Baum ab und neigte den Oberkörper vor, keuchte. Er öffnete die oberen Schließen seines Rocks. Überall juckte es ihn. Waren das Schweißflecken? Er hatte seinen guten blauen Rock naß geschwitzt. Es stach in der Kehle bei jedem Atemzug, und der Speichel war dick geworden im Mund, dick und süß. Alan spie aus. Die Schuhe! Es lief sich einfach schlecht mit diesen langen Spitzen. Für ein paar Stunden hätte er sie gern gegen seine alten löchrigen Treter eingetauscht.
    Er konnte stolz sein, daß ihm der Erzbischof einen solchen Auftrag anvertraute. Er hätte David schicken können oder einen der erfahreneren Schützen. Das hatte er nicht getan. Er hatte ihn, Alan, ausgewählt. Schoß er so gut? Daß er den Reiter getroffen hatte gestern, war eines Meisters würdig. Selbst David hatte ihm anerkennend auf die Schulter geklopft.
    Sollte er besser schon hier den Bogen bespannen? Man durfte ihn nicht sehen von der Burg aus, er mußte sich heranpirschen und verstecken und dann reglos im Gebüsch hocken, bis sich der Feind im Fenster zeigte. Schließlich: aufstehen, schießen, fliehen. Eine gefährliche Sache, eine, die versprach, ihn zum Helden zu machen. Courtenay traute ihm zu, daß er es schaffte. David traute es ihm zu.
    Sie waren gute Männer. Was Catherine da gefaselt hatte – großer Unfug! Nie war es ihnen besser ergangen als in den Diensten Courtenays. Nur noch May mußte er gewinnen, dann würde er glücklich sein. Und würde es sich nicht herumsprechen, wenn er Sir Latimer erschoß? Vielleicht hörte man im Dorf davon, und der Vogt mußte zähneknirschend zugeben, daß Alan der bessere Mann war, nicht, weil er ihn plötzlich mochte, sondern weil er ihn fürchtete, ja, fürchtete! Nicht |340| einmal ein Spanneby mit seinen Gütern kam gegen einen berühmten Meisterschützen an.
    Alans Atem beruhigte sich. Ich sollte weiterlaufen, dachte er. Seine Beine aber waren plötzlich aus Blei. Da war etwas, das ihn tadelte, ein Gedanke, ein Gefühl, irgendeine Sache, die ihn sich unwohl fühlen ließ. War er zu stolz auf sich? Er hatte allen Grund dazu, stolz und glücklich zu sein. Geh! befahl er sich. Er

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