Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Brillenmacherin

Die Brillenmacherin

Titel: Die Brillenmacherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
Vom Netzwerk:
Courtenay.«
    Lady Anne rührte sich nicht.
    Der Captain wickelte sein Werkzeug in einen Lappen ein und klemmte sich das Bündel unter den Arm. »Sir?«
    »Ihr könnt gehen. Habt Dank für Eure Hilfe. Ihr meint wirklich, es war die richtige Entscheidung, nicht zu warten, bis der Pfeil herauseitert?«
    »Ja, Sir.«
    Kaum hatte sich die Tür hinter dem Captain geschlossen, ließ sich Latimer auf den Schemel vor dem Tisch fallen und stützte den Kopf in die Hände. »Es bricht alles zusammen. Alles.«
    »Ich trage Schuld daran, Sir Latimer.«
    »Was ändert das? Meinst du, wenn die Schuldigen bestraft sind, dann wird es wieder hell, dann wird alles wieder gut? Nein, wir sind und bleiben verloren.«
    »Elias hat einmal gesagt: Farben sieht man nur im Licht. Bei Dunkelheit sieht man Schwarz und Weiß, aber keine Farben. Trotzdem sind sie noch da, versteht Ihr? Wenn Gott möchte, kann er uns durch ein Wunder retten, und auch die Farben kehren zurück.«
    »Elias kannte Aristoteles? Beachtlich.«
    »Wer ist das, Aristoteles?«
    »Ein Grieche, er lebte, bevor Gott unseren Befreier Jesus Christus auf die Erde sandte.«
    »Und da soll Elias ihn – Ihr meint seine Schriften, nicht |368| wahr? Ich glaube es nicht. Er hat nicht gern gelesen. Wahrscheinlich hat ihm sein Meister in Brabant davon erzählt.«
    Es schien nicht so, als hätte Sir Latimer ihr zugehört. Er sah ins Leere. »Aristoteles … Das waren gute Tage. Ich habe auf der Fensterbank gesessen und gelesen. Es hat mich glücklich gemacht, es gab das Gefühl von Freiheit, Dinge über diese weisen Männer zu erfahren. Sie stritten über das Licht. Ich fühlte mich, als würde ich weite Reisen unternehmen. Ich fühlte mich, als würde ich die Welt kennenlernen und verstehen.«
    »Über das Licht haben sie gestritten? Was haben sie gesagt?«
    »Plato und Empedokles behaupteten, daß das Auge Sehstrahlen aussendet und damit die Gegenstände abtastet. Ganz so, wie man mit einer Hand im Dunkeln nach dem Tisch fühlt. Sie sagten, das Auge sei feuriger Natur. Ihr Beweis dafür waren Tiere, die nachts sehen können, du weißt, ihre Augen glänzen wie Feuer. Hast du einmal eine Katze im Mondschein betrachtet?«
    Catherine faßte sich an die Stirn. Was erzählte er da? Von welchen Geheimnissen sprach er? Sehstrahlen, die die Dinge abtasteten, Tiere, ja, leuchtende Augen, das kannte sie! »Leuchtende Augen, das habe ich gesehen.«
    »Ein weiterer Beweis war, daß weit entfernte Gegenstände nicht mehr gesehen werden können. Eine Krähe zum Beispiel auf dem Kirchendach. Wenn du von weiter Ferne auf Braybrooke schaust, wirst du gerade so die Kirche sehen, nicht aber den Vogel auf dem Dach. Das liegt daran, so behaupteten sie, daß die Sehstrahlen mit wachsender Entfernung vom Auge weiter auseinanderliegen, wie ein Blasebalg, der sich aufspannt. Auf diese Weise kommen kleine Gegenstände zwischen zwei Sehstrahlen zu liegen.«
    Ja. Ja! Sie begriff das! Sie lächelte.
    »Plato meinte nun, daß auch die Gegenstände Strahlen aussenden und daß sich die Sehstrahlen der Augen und die Strahlen der Gegenstände in der Mitte treffen und so das Sehen erzeugen.« |369| Er wischte sich über das Gesicht und seufzte. »Wie gut es tut, diese Dinge zu betrachten. Sie sind klar und einfach. Sie sind unberührt von all dem Unglück. Ganz so, als gäbe es noch Ordnung in der Welt.«
    Catherine schluckte. »Sir Latimer …«
    »Aristoteles hat einen neuen Gedanken aufgebracht. Er wandte sich gegen Plato und Empedokles, indem er fragte: Wenn das Auge Strahlen aussendet, warum sieht man dann nicht im Dunkeln?«
    Tatsächlich. Warum sah man dann nicht im Dunkeln?
    »Aristoteles hat gezeigt, daß es Unfug war, von Sehstrahlen zu sprechen. Er hat erklärt, was Sehen wirklich ist.«
    »Was ist Sehen?«
    »Es ist eine Bewegung des durchsichtigen Mittels zwischen Auge und Gesehenem.«
    »Ich verstehe nicht.«
    »Nun, so sind wir doch auf Aristoteles gekommen. Es ist die Erkenntnis, daß man Farben sieht, wenn es hell ist, und bei Dunkelheit nur Grau und Schwärze.«
    »Aber wieso?«
    »Das hat Aristoteles mittels des Regenbogens erforscht. Regenbogen entstehen dadurch, schreibt er, daß eine Regenwolke Sonnenstrahlen zurückwirft. Die vielen Farben sind die Folge des schrägen Einfallswinkels der Strahlen. Die schrägsten können am wenigsten in die Wolke eindringen, werden also am stärksten zurückgeworfen, und bewirken so die lebhafteste, die rote Farbe.«
    Catherine verstand nicht mehr. Was erzählte er

Weitere Kostenlose Bücher