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Die Brillenmacherin

Die Brillenmacherin

Titel: Die Brillenmacherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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sie hatte das Fell weggerissen und war tatsächlich bereit gewesen, ihn sterben zu lassen.
    Warum bestrafte sie der Ritter nicht?
    |365| Er war gut zu ihr gewesen. Wie hatte sie solche Kälte empfinden können, woher war die Gleichgültigkeit gekommen, die ein Meuchler seinem Opfer gegenüber empfand, steckte all das in ihr? Ihre Stirn hatte er berührt, er hatte ihr die Haare aus dem Gesicht gestrichen und sie sanft gehalten. Ihre Antwort: Das Fenster. Der Schuß.
    Sie unterbrach das Kauen. Was würde geschehen, wenn Lady Anne starb? Catherine haßte sich für diesen Gedanken, aber er war verlockend. Sicher ging Sir Latimer nicht mit jeder Frau, die ihm begegnete, derart zärtlich um. Er hatte ihr das Beten beigebracht, er hatte sie mit einer Wärme angesehen, einer Art begehrender, umhüllender Wärme, das konnte nicht ohne Bedeutung sein. Wenn Lady Anne starb, war es nicht möglich, daß Thomas Latimer, trotz seines hohen Ranges als Ritter, daß er sich, konnte es nicht sein, daß eine Zuneigung wuchs? Er gefiel ihr. Sie fürchtete ihn, und zugleich kam er ihr vor wie ein kleiner Junge. Wo gab es einen Mann wie diesen? Und auf welchen Vater konnte Hawisia stolz sein wie auf den Ritter Sir Thomas Latimer?
    Sie schluckte. Was dachte sie da? Wie konnte sie den Tod eines Menschen herbeiwünschen! Und sie war ja schuld an diesem Tod, ohne sie wäre Lady Anne gesund. Sie dachte: Ich stecke genauso tief in diesem Unheil wie Repton und Alan. Wenn Lady Anne sterben würde, machte sie das nicht zu einer Mörderin? Sie durfte auf keinen Fall sterben! Wie sollte man je wieder glücklich werden mit dem Wissen, jemanden umgebracht zu haben?
    »Ruth, könntest du Hawisia nehmen? Ich will nachsehen, wie es Lady Anne geht.«
    »Der Herr Ritter ist bei ihr. Du kannst da nicht einfach hineinspazieren und nach ihrem Befinden fragen.«
    »Ich komme nicht zur Ruhe, ehe ich nicht weiß, ob sie leben wird.« Sie gab die Kleine in Ruths Arme. »Ohne mich wäre das nicht passiert.«
    »Was redest du da!«
    Catherine verließ die Küche und überquerte den Hof. Man |366| hämmerte Schutzschilde zusammen, hinter die sich die Männer ducken konnten. Verglichen mit den Türmen, die Courtenay errichtete, sahen sie wie Spielzeuge aus. Damit wollte man sich gegen diese Kriegsmaschinen verteidigen? Es mußte ein Wunder geschehen, wenn der Ansturm des Erzbischofs abgewehrt werden sollte, Thomas hatte völlig recht damit.
    Hör auf damit, ihn Thomas zu nennen! befahl sie sich. Du hast genug zerstört. Mache dich nicht noch zur Ehebrecherin! Für dich heißt er Sir Latimer. Sie nahm sich vor, ihn in Zukunft nicht mehr anzusehen. Blicke waren es, die so etwas begannen, ohne Blicke würde das Gefühl verhungern, die Gefahr würde verschwinden.
    Im ersten Stockwerk klopfte sie an die mit Schnitzereien verzierte Tür. Latimers Stimme antwortete, und sie trat ein. Zwischen Spinnrad und Webstuhl stand der Captain und wusch sich in einer Schüssel Blut von den Händen. Lady Anne lag wie tot im Bett, schneeweiß das Gesicht, die Augen geschlossen. Der Ritter beugte sich über das Fußende des Bettes, offenbar kämpfte er mit den Tränen.
    »Lebt sie?« hauchte Catherine.
    »Sie lebt.«
    Der Captain trocknete sich die Hände. Sie färbten das Tuch rot. Woher kam das ganze Blut? »Was habt Ihr mit ihr gemacht?«
    »Ich habe den Pfeil ausgeschnitten.« Mechanisch sagte er das, ohne seine Tätigkeit zu unterbrechen. »Dann habe ich die Wunde vernäht und einen Hahnenfußverband zur Blutstillung angelegt. Das Brenneisen haben wir ihr auf Wunsch des Herrn Ritters erspart.«
    »Also meint Ihr, sie wird gesund werden?«
    »Nein. In vier Ländern habe ich an Kriegen teilgenommen, glaubt mir, unter meinen Männern gab es Dutzende mit Bauchverletzungen. So etwas überlebt man nicht.«
    »Warum habt Ihr sie dann behandelt?«
    »In seltenen Fällen, wenn rasch ein Medicus oder ein Bader zur Stelle war, gab es doch Heilungen.«
    |367| »Dann dürfen wir hoffen.«
    »Ja, man darf immer hoffen. Aber vergeßt nicht, ich bin weder Medicus noch Bader. Ich trage ein wenig Arznei mit mir herum und ein paar Zangen. Das ist nur zur Notversorgung gedacht für meine Männer und für mich selbst, wenn es einen Arm oder ein Bein erwischt hat. Bauchschüsse, Kopfverletzungen, da hört es auf.«
    Sir Latimer warf die Hände in die Höhe. »Daß wir nicht nach Nottingham um einen Physicus schicken können! Anne liegt im Sterben, verflucht noch mal! Das wird er mir büßen, dieser

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