Die Brillenmacherin
Bündel Hawisia.
»Mein Kind.«
»Rasch, ein Seil!«
Sie winkte nach rechts. »Beeile dich. Geh um die Burg herum zum Tor. Die Kleine muß am Verhungern sein.«
»Sie lauern mir auf, hinter den Fischbecken liegen Schützen versteckt. Werft ein Seil herunter!« Repton sah sich um, als erwarte er Verfolger. »Schnell!«
Latimers Stimme, tief und beruhigend, ertönte von hinten: »Ich hole es.«
Wie sie sich nach Hawisia sehnte, obwohl sie sie schon sah, wie es sie danach verlangte, diesen weinenden kleinen Menschen in die Arme zu schließen! Aus dem dichten Wald waren sie gekommen. Hatte sie dort die Nacht verbracht? Fürchtete sich Hawisia nicht in den Händen dieses Mannes? »Repton, halte ihren Kopf ein wenig höher.«
»So?«
»Ja, so ist es gut.«
»Was kann ich machen, daß sie zu schreien aufhört? Courtenays Häscher sind nicht taub.«
»Wiege sie im Arm. Genau so. Du kannst auch etwas singen, warte, kennst du
›Lullay, lullay‹ ?«
|363| »Was?«
Latimer erschien neben ihr. »Gebt acht«, rief er und warf ein dickes Seil hinunter. Es polterte im Fallen gegen die Wand, rollte sich auf. Neben Repton schlug es hart gegen den Boden. »Stell dich auf den Knoten, dann ziehen wir dich herauf. – Los, Männer, anpacken!«
Philip Repton umfaßte mit einer Hand das Seil, die Füße klemmten den Knoten zwischen sich, der in den letzten Zipfel des Seiles geknüpft war. Hawisia brüllte. Es gefiel ihr ganz und gar nicht.
»Und hebt! Und hebt! Und hebt!« Sir Latimer zog selbst mit am Seil.
Langsam schwebte Repton in die Höhe. Er stieß sich mit den Ellenbogen ab, so, daß sein Rücken an der Burgwand entlangschabte und nicht der Arm mit dem Kind. Als er sich den Zinnen näherte, streckte ihm Catherine die Arme entgegen. Endlich, sie erreichte Hawisia, sie hob sie in die Höhe, sie konnte sie an sich schmiegen. »Meine Kleine, mein Liebling.«
Die Männer griffen nach Reptons Armen, sie zogen ihn herauf. Latimer wartete mit verschränkten Armen, bis Philip Repton auf eigenen Füßen stand, dann sagte er knapp: »Schafft ihn in den Keller.«
Repton erbleichte. »Du hast versprochen –«
»– daß ich dir das Leben schenke. Von Freiheit habe ich nichts gesagt.«
Die Männer sahen sich an. Hawisia weinte immer noch, es gelang Catherine nicht, sie zu beruhigen. Das kleine Gesicht rötete sich. Zwischen den Schreien blinzelte die Kleine und schöpfte Atem, bis ihr das Leid wieder einfiel.
»Ich habe mein Leben aufs Spiel gesetzt«, sagte Repton. »Ich bin in Courtenays Lager gegangen und habe ihn mit einer Armbrust bedroht, man hat mir nachgesetzt!«
»Erspare mir das Gejammer.«
»Was hast du vor mit mir?«
»Wenn alles überstanden ist, wird der Ritterbund über |364| deine Strafe entscheiden.« Latimer zeigte auf die Bogenschützen und dann auf Repton.
Man trat an ihn heran und packte ihn an den Armen.
»Laßt mich los!« rief er. Er spuckte Latimer vor die Füße. »Du bist doch keinen Fingerbreit besser als Courtenay! Meinst du, dir unterlaufen keine Fehler? Du hältst dich für schuldlos?« Sie zogen ihn in den Treppenaufgang. Repton bäumte sich auf, trat nach den Männern, die ihn festhielten. Er schrie, daß sich die Stimme überschlug: »Du hast mir dein Wort gegeben, Thomas! Dein Wort!«
Hawisia schlummerte still in ihrem Arm, sie hatte ihr Milch gegeben und sie gestreichelt, hatte sie in den Schlaf gewiegt. Was sie die ganze Nacht herbeigesehnt hatte, war eingetreten, sie hatte ihre Tochter zurück. Die Kälte im Wald hatte der Kleinen nicht gutgetan, sie fieberte ein wenig. Der Eitergeruch aber blieb aus, sie würde die Krankheit besiegen. Obwohl Catherine davon überzeugt war, wollte sich kein Frieden einstellen. Etwas nagte an ihr, etwas bohrte feine Zähnchen in sie und riß und biß und fraß an ihr. Woher dieses Gefühl?
Ruth reichte ihr ein Brot. »Hier, dick mit Honig bestrichen.«
»Danke.«
Es hatte mit Repton zu tun. Und mit Alan. Beide lagen sie gefesselt im Keller. Natürlich, sie machte sich Sorgen, vor allem um ihren Bruder machte sie sich Sorgen. Aber das war es nicht. Es betraf sie, Catherine.
Sie lagen also in Ketten: Alan, der geschossen hatte, und Philip Repton, der durch seinen Verrat Courtenays Aufmerksamkeit auf Braybrooke gelenkt hatte. War es gerecht? Schon möglich. Ungerecht war, daß sie, Catherine, verschont blieb. Gehörte nicht auch sie dort hinunter? Zuerst hatte sie Doktor Hereford verraten. Dann hatte sie Sir Latimer vor das Fenster gelockt,
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