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Die Brillenmacherin

Die Brillenmacherin

Titel: Die Brillenmacherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Vertraut auch mir! Ich bin eine Meisterin des Lichts.«
    Woher die Kraft kam, die sie durchströmte, nachdem sie kaum einen klaren Gedanken hatte fassen können, nachdem sie gezittert hatte wie ein Kaninchen in der Schlangengrube – sie wußte es nicht zu sagen. Aber ihr war nun klar, was sie tun mußte. Nichts durfte sie davon abhalten.

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    Die Kathedrale von Canterbury stand weiß gegen den Nachthimmel, eine Tote, zum Abschied vom Mond geküßt. Die Spinne, die ihr das Leben ausgesaugt hatte, lauerte irgendwo in der Schwärze. Catherine spürte es. Zwischen Bischofspalast und Garten waren Spinnenfäden gezogen, um sie zu fangen – ein falscher Tritt, ein falscher Laut, und das Böse fiel sie an, um sie mit seinem Giftstachel zu stechen.
    Sie waren schwach. Sie waren klein. Aber das Licht würde ihnen helfen. Sie würden das Ungeheuer blenden, würden in ihm Alpträume wecken. Wenn sie sich nicht zuvor packen ließen. Wenn sie es schafften, den lauschenden Ohren dieses Nachtmahrs zu entgehen.
    Die Räder ächzten unter dem Buckel von Heu, der bis in die Baumkronen hinaufragte. Als Catherine den Wagen hinüber zur Mauer des Bischofspalastes lenkte, rutschte eine Handvoll Halme ab. Sie legten sich wie eine Geisterhand auf ihren Kopf. Die Achsen knarrten, wollten sich auf den neuen Weg nicht einlassen. Heu streifte ihr Gesicht. Sie atmete Wiesenstaub. Nicht niesen! Nicht!
    Sie hielt sich die Nase zu. Es ging nicht anders, sie würde niesen müssen. Sie preßte die Lippen aufeinander. Wartete. Hoffte, das Kitzeln würde sich verlieren. Da schwoll es mächtig an, ein Luftschwall brach aus ihrem Mund, sie prustete ungewollt.
    Latimer, der den Wagen von hinten schob, machte: »Schh!«
    Sie hielten inne, lauschten. Aus dem Garten schallte Grillenzirpen herüber. Wie konnte ein Tier, das so winzig war, ein Geräusch von sich geben, das hundert Schritt weit zu hören war? Und weshalb zirpten die Grillen mitten in der Nacht? Sie schienen Warnungen auszustoßen, spitze Schreie, die Angst und Aufregung kündeten.
    |420| »Gut, weiter«, flüsterte Latimer. Die Räder knarzten, ein Ruck ging durch den Wagen.
    Alan war tot. Der Bruder, mit dem sie auf den Feldern nach vergessenen Ähren gesucht hatte. Sie sah ihn vor sich, den kleinen Jungen, der mit Freunden kämpfte, Holzschwert gegen Holzschwert. Den jungen Mann, der einen Acker pachtete und ihn vom Steingrund zum fruchtbaren Feld verwandelte. Alan. Tot. Plötzlich erschien es ihr unmöglich. Er war immer dagewesen, der Bruder. Er konnte doch nicht fort sein? Es drängte sie, durch den Garten zu schleichen und nachzusehen. Lag er noch dort? Was hatten sie mit ihm gemacht? Ihn irgendwo verscharrt? Ihr wurde übel.
    Sie lenkte den Wagen zurück, so daß er sich mit der Breitseite an die Hauswand schmiegte. »Das genügt«, raunte sie. Im ersten Stockwerk sollte sich das Schlafgemach befinden. Sie ging rückwärts, bis sie über dem Heuberg die Glasfenster schimmern sehen konnte, schwarze Spiegel in der Nacht. »Sir Latimer«, wisperte sie, »was meint Ihr –« Wo war Latimer? Sie suchte mit den Augen den Wagen ab, die Mauer. Latimer war verschwunden.
    Schimmerte da nicht Lichtschein auf der Hauswand? Sie drehte sich um, sah die Fackel, die sich vom Garten her näherte. Rasch warf sie sich zu Boden und rollte unter den Wagen.
    In Latimers Arme.
    Der Ritter drückte ihr den Finger auf die Lippen.
    Nach einer Weile flüsterte er: »Wir verschwinden.«
    Ihre Gesichter waren sich so nahe wie noch nie. Catherine konnte seinen Atem auf ihren Wangen spüren. Sie roch ihn: säuerlich, herb. »Nein. Wenn Ihr fliehen wollt, flieht. Ich lasse Courtenay so nicht davonkommen.«
    »Nicht um mich ist mir bange. Ich habe tausendmal dem Tod ins Auge gesehen, auf jedem Schlachtfeld mich verabschiedet von der alten Erde. Ich bin nur Pilger hier. Aber du bist Mutter!«
    Nein, es ging ihm nicht um Hawisia. Wie er sie in den Armen hielt! Ein wohliger Schauer durchlief sie. Gerade weil da |421| draußen das Böse seinen kalten Hauch aussandte, fühlte sie sich warm und geborgen an der Brust des Ritters.
    Er rückte ein wenig ab, als müsse er sich besinnen. »Wir brechen das ab. Glaube mir, ich habe Erfahrung, und die Instinkte sagen mir, daß wir Canterbury nicht lebend wieder verlassen werden, wenn wir deinem wundersamen Plan folgen.«
    Gut möglich, daß er recht hatte. »Ich brauche nicht lange. Und wenn ich die Kerze gut abschirme, wird man mich kaum sehen oben auf dem

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