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Die Brillenmacherin

Die Brillenmacherin

Titel: Die Brillenmacherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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zugeben, daß es angenehmer ist, auf gepolsterten Ledersitzen zu reisen, als das Gesäß von einem harten Sattel stoßen zu lassen. Federn aus Stahl dämpfen die Reisekammer des Wagens, wußtet Ihr das, Doktor?«
    Nicholas strich sich über die Stirn. Erstaunlich, zu welcher Fürsorge der Ritter Cheyne in der Lage war. »Geht Ihr nur, haltet um die Hand Eurer Herzensdame an. Ein alter Mann sollte mit seinen Reiseplänen ein solches Ereignis nicht hinauszögern.«
    »Ihr werdet das beste Pferd erhalten.«
    »Für mich ist das beste Pferd eines, das folgsam die Straße entlangtrabt. Es geht mir nicht um Schnelligkeit.«
    Sir Cheyne lächelte.
    Die Pferdebeine klopften sanft die Straße. Vier Wagenräder surrten. Schatten und Licht spielten im Wageninneren, während vor dem Fenster der Wald vorüberbrauste, seit Tagen, |197| kaum unterbrochen von Feldern und Siedlungen. Von Zeit zu Zeit riefen sich Cheynes Waffenknechte etwas zu, und es ritt einer von ihnen voraus, um nach Gefahren auszuspähen.
    Cheyne knüpfte ein seidenes Beutelchen auf und zog einen flachen schwarzen Stein heraus.
    »Was ist das?«
    Der Ritter strich mit dem Daumen über die glatte Fläche. »Ein Handspiegel aus Obsidian.«
    »Ihr seht aus wie immer, sorgt Euch nicht.«
    »Keine Schrammen im Gesicht?« Cheyne sah den Spiegel an, als würde er ihn fragen und nicht Hereford. Er wickelte eine Haarsträhne um den Zeigefinger. »Ich wünschte, ich hätte Locken. Meine lange Mähne sieht aus wie das zerzauste Federkleid einer Krähe.«
    »Ihr seid unzufrieden? Euer Haar ist lang und stark, was wollt Ihr mehr?«
    »Nun, denkt an Nevill. Seine dunkelblonden Locken, die hätte ich gern. Ihr müßtet ihn in der Schlacht sehen, wie sie ihm um die Ohren fliegen!«
    »Margaret Lovetoft hat sich nicht in William Nevill verliebt, sondern in Euch. Genauso Margaret Deincourt, Eure verstorbene Frau. Hätte sie nicht auch Nevill haben können? Eine Frau von ihrem Reichtum und ihrem Rang hätte jeden gekriegt. Ihr müßt zugeben, sie hat ihrem Ruf sehr geschadet, als Sie Euch erwählte. Es muß also Liebe gewesen sein.«
    Cheyne lachte. Es zog sein breites, aufgeblähtes Gesicht noch weiter auseinander. »Vom Alter her hätte sie besser zu William gepaßt, da habt Ihr recht. Aber Ihr vergeßt, daß er damals schon sieben Jahre mit Elisabeth le Waleys verheiratet war.«
    »Wie dem auch sei, neidet ihm nicht sein Äußeres. Er ist ein harter, ein gnadenloser Mensch. In diesem Bereich habt Ihr ihm einiges voraus.«
    »Ich danke.«
    Aber Cheyne hatte seine Schwäche. Er schwelgte im Reichtum. |198| Nicholas würde ihn irgendwann ermahnen müssen. Cheyne kämpfte gegen die Machtgier und die Geldgier der Kirche an, da stand es ihm schlecht, daß er selbst Schätze raffte. Irgendwann. Es würde schon der passende Zeitpunkt kommen, ihn zu warnen. Im Augenblick war Nicholas selbst kraftlos und auf eine gewisse Art unwillig. Das war nicht die Verfassung, in der man Lektionen erteilte.
    »Wußtet Ihr, daß dieser Spiegel aus Äthiopien stammt?«
    »Darf ich ihn sehen für einen Augenblick?«
    Cheyne reichte den blanken Stein hinüber.
    Das bist du, Nicholas, dachte sein Gegenüber. Ein ernstes Gesicht. Er hatte vergessen, wie struppig seine Augenbrauen waren. Lächeln wollte er, um sich freundlich zu sehen, aber das Gesicht gehorchte nicht. Es war, als zwänge ihn der Spiegel dazu, ernst zu schauen. Er gab ihn zurück. »Warum benutzt Ihr keinen gewöhnlichen Spiegel aus Glas? Man sieht sich klarer darin.«
    »Aber das ist genau das, was ich nicht erreichen will. Obsidian gibt ein mattes Bild, stimmungsvoller, zarter. Die alten Römer haben solche Spiegel verwendet, Plinius erwähnt das im Rückblick auf vergangene Zeiten. Ich denke nicht, daß Glasspiegel dem Obsidian überlegen sind.«
    »Das soll der Grund sein? Ihr täuscht Euch. Ihr seid froh, daß niemand einen Spiegel hat wie Ihr, das ist es. Das Gewöhnliche stößt Euch ab.«
    Wieder lachte Cheyne. »Doktor, Eure Weisheit überrascht mich immer wieder neu. Wie weit seid Ihr mit der Übersetzung der Heiligen Schrift?«
    »Ich bin beim Buch Jona angelangt.« Jona. Immer noch Jona. Er steckte fest. War nicht seine Reise nach Oxford nur eine Ausflucht, um nicht weitermachen zu müssen?
    »Aber das ist ja großartig! Wie viele Bücher fehlen noch, um das Alte Testament vollständig zu machen?«
    »Micha, Nahum, Habakuk, Zefanja, Haggai, Sacharja, Maleachi und die beiden Makkabäerbücher noch, dann liegt die gesamte Bibel in

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