Die Brillenmacherin
einer der Vorhallen saß, und den Schlagschatten des Kirchturms, und für einen Augenblick meinte sie, sie müßte Elias suchen. Er hatte noch gelebt, als sie all das bei ihrem letzten Besuch in der Stadt betrachtet hatte.
Zwecklos war es: Elias war tot. Die Schuhmacher, die Viehhändler und Korbflechter und Messerschmiede feilschten, als sei nichts geschehen. Hawisia war gestohlen, und hier tauschte eine Frau Eier gegen Heilkräuter.
Sie nahm nicht die südliche Straße, die Elias mit ihr gereist war, sondern bog gen Osten ab. Auf halbem Weg nach Oakham schmerzte ihre Brust so sehr, daß sie glaubte, sie würde zerbersten. Im Straßengraben streifte Catherine das Kleid herunter und drückte auf die Brustwölbung. Die Milch schoß in einem harten Strahl heraus. Es war Hawisias Milch, sie gehörte der kleinen Tochter und nicht dem Graben.
Die untergehende Sonne hüllte Oakhams Hütten in den Schatten der Burg. Wie eine Decke aus schwarzem Samt war er über sie gebreitet, eine Decke, die die Form der zwei Türme hatte, der Erdwälle und der Mauern. Die Hütten duckten sich willig darunter. Allein der Garten nördlich der Burg glühte im letzten Sonnenlicht. Hier sangen die Vögel, um den Tag zu verabschieden.
Was war Schönheit, wenn man sein Liebstes nicht hatte?
Catherine verbrachte die Nacht in einem Stall zwischen Ziegen. Der Besitzer weckte sie mit hartem Stiefeltritt. Als sie sich aufrappelte, grinste er.
Auf Oakham folgte Uppingham. Dann Rockingham; sie verließ es eilig wieder. Die Königsburg mit ihren Hunderte Yard weiten Mauern, den runden und den eckigen Türmen erschreckte sie. Catherine rastete erst in Corby, einem kleinen Nest von Eisenschmelzern, die ihren Öfen dienten wie fremden Gottheiten.
Und dann, fünf Tage nachdem sie aus Newstead Abbey |193| aufgebrochen war, erreichte sie Raunds. Sie war von Flöhen zerbissen, vom Wind gepeitscht, von der Sonne verbrannt, ausgehungert. Sie meinte, sie könne keinen Schritt mehr gehen. Im kleinen, von drei Bächlein durchströmten Ort fand sie Unterschlupf bei einer freundlichen Frau, gleich gegenüber einer Kirche mit hoher Turmspitze. Die Frau richtete ihr ein weiches Lager aus Decken und Fellen. Es gab Eier und Milch und Schwarzbrot, gebratenen Speck, gute Worte und am Abend eine schwielige Hand, die ihr das Gesicht streichelte, bis sie eingeschlafen war.
Beim Frühstück am nächsten Morgen erzählte Catherine das ganze Unglück. Die Frau hörte zu, nickte und schwieg. Gegenüber am Turm lauschten steinerne Musikanten, häßliche Reliefs, die Schadenfreude ausstrahlten. Drei Tage blieb Catherine in Raunds. Am vierten Tag, als sie kräftig und ausgeruht aufstand, war schon ein Bündel für sie gepackt mit Käse, einem Wasserschlauch und Brot. Die Frau verabschiedete ihren Gast so selbstverständlich, als erwarte sie für morgen bereits den nächsten ausgehungerten Menschen. Und die steinernen Musikanten waren plötzlich freundlich, sie spielten zum Abschied.
Um das Augustinerstift Stonely machte Catherine einen weiten Bogen. Sie übernachtete statt dessen in Kimbolton, einer Stadt zwischen geschwungenen Hügeln und fruchtbaren Tälern. Am zehnten Tag ihrer Reise erreichte sie Hail Weston. Eine uralte Brücke aus vier moosbewachsenen, steinernen Bögen lud ein, den Fluß Kym zu überqueren. Catherine könne Southoe leicht noch bei Tageslicht erreichen, erklärte ein Bauer. Aber sie wollte nicht weitergehen, sie wollte in Hail Weston übernachten, um bei der Burg am frühen Morgen einzutreffen. Die zwölfköpfige Familie des Bauern rückte für sie in ihrer kleinen Holzhütte zusammen, sie schämte sich, in einem der beiden Betten zu schlafen, während der Großteil der Kinder die Nacht auf dem Boden verbrachte. Dabei schien es, als seien ihre Gastgeber stolz darauf, daß sie bei ihnen war. Die Kleinen tuschelten im dunklen Haus so lange, bis der Vater einen ärgerlichen Laut von sich gab. Dann schwiegen alle.
|194| Mitten in der Nacht hörte sie Hawisia weinen. Sie sprang auf, tastete durch die Dunkelheit.
»Was ist?« fragte die Gastgeberin erschrocken.
»Mein Kind weint!«
»Dein Kind? Nein, das kommt von den Nachbarn, sie haben einen kleinen Sohn seit einigen Wochen.«
»Verzeih.« Sie stieg zurück ins Bett.
Nach einer ganzen Weile, Catherine hatte gehofft, daß sie längst wieder schlief, sagte die Frau: »Du hast ein Kind?«
»Ja, eine kleine Tochter.«
»Wo ist sie?«
»Man hat sie mir weggenommen.«
»Oh.« In diesem einen Laut war
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