Die Brillenmacherin
wußte ich nicht. Na, kommt, ich wollte sowieso die frische Aprilluft atmen, da kann ich Euch auch zur Glashütte führen.«
|204| »Herrin, soll –«
»Nein, wir brauchen keine Begleitung. Danke.«
»Woher wißt Ihr, daß Ihr der Fremden vertrauen könnt?«
»Da, schau einmal.« Margaret zeigte auf den gläsernen Ring an Catherines Finger. »Zufrieden?« Sie setzte das Huhn sanft auf den Boden, wo es verschlafen hocken blieb, und schlüpfte mit der Hand in Catherines Armbeuge. »Gehen wir.«
Verwirrt ließ sich Catherine fortziehen. Eine junge Herrin im roten Mantel mit Samtbesatz hielt sie am Arm, als wäre sie ein Ritter, der seine Herzensdame zum Spaziergang ausführt. Wie geschah ihr?
Die Herrin machte vergnügte Tanzschritte, lachte. Sie gab Catherine einen Stoß. »Jetzt laßt Euch nicht lange bitten. Erzählt! Wie ist das mit diesen Brillen? Sie müssen doch Nachteile haben. Alles, was neu ist, hat auch Nachteile.«
»Zuerst einmal haben sie Vorteile. Wenn jemand nicht mehr lesen kann, und ein Vorleser ist zu teuer oder er möchte in einsamen Stunden des Grübelns lieber allein sein, dann hilft ihm die Brille. Manche können sich im Alter nicht mehr orientieren, oder sie erkennen ihre Familie nicht mehr.«
»Danach habe ich nicht gefragt. Die Nachteile wollte ich wissen.«
»Nun …« Catherine war es nicht gewohnt, Nachteile des Brilletragens aufzuführen. Sie mußte nachdenken. »Die Brille rutscht fortwährend, man muß sie entweder an der Seite festhalten oder sie mit dem Daumen gegen die Stirn drücken, damit sie nicht von der Nase fällt.«
»Ach, man setzt das Glas auf die Nase?«
»Es sind zwei Gläser, für jedes Auge eines. Zwei Holzrahmen fassen die Gläser ein, und kleine Stiele halten sie in der Mitte zusammen.«
»Und man kann die kleinen Stiele auf der Nase absetzen?«
»Richtig. Nur läßt sich das Holz schwer darauf festklemmen, die dünnen Stiele brechen allzu rasch. So bleibt nichts anderes, als die Brille mit der Hand zu stützen.«
»Verstehe. Weitere Nachteile?«
|205| »Mitunter springt das Glas, und es dauert eine Weile, bis man in Zusammenarbeit mit dem Brillenmacher passenden Ersatz hergestellt hat. Solange verwendet man die Brille mit dem gesprungenen Glas weiter.«
»Wißt Ihr was? Ich verzichte. Ich möchte keine Brille haben.«
»Das sagt Ihr jetzt, wo Eure Augen stark sind. Wartet es ab, wir sprechen uns in ein paar Jahrzehnten wieder.«
Margaret lachte. »Ihr droht mir!«
»Nein, nein, so war das nicht gemeint.«
»Schaut!« Sie wies hinauf. »Die Krähen sitzen im höchsten Baum. Da sind so viele Bäume, der ganze Wald ist voll davon, aber die Vogelbiester – seht Euch das an! Jetzt zanken sie sich um die Spitze. Jeder will ganz oben sitzen. Und was machen sie dort? Sitzen und dumm glotzen.«
Es war ein kalter, nasser Tag. Aber Margaret versprühte eine Freude, als gäbe es strahlenden Sonnenschein. Der Metallreif in ihrem Haar blitzte, und die zahlreichen Zöpfe flogen ihr um die Schultern, wenn sie lachte. Catherine fühlte sich verpflichtet, das Gespräch in eine ernstere Richtung zu lenken. Sie würde irgendwann etwas sagen müssen, das Margaret sehr traurig machen würde. »Warum liegen hier umgesägte Bäume herum?« fragte sie, obwohl sie es genau wußte.
»Die sollen trocknen. Lustig, oder? Bei diesem Wetter! Aber sie sollen ja auch von innen trocknen.«
»Wozu ist das nötig?«
»Das ist für die Asche, die für das Glas gebraucht wird. Man verbrennt die Stämme an einem sauberen Ort und sammelt die Asche ein. Nur von Eichen oder Buchen oder Farnen darf sie stammen.«
Eine Lichtung kam in Sicht. Lange, geduckte Gemäuer aus Lehm und Steinen standen darauf, fünf Yard lang und drei Yard breit: die Glasöfen. Genauso hatte es bei Catherines erstem Besuch einer Glashütte ausgesehen. Elias hatte ihr damals den Ring gekauft.
Die Ofenschlünde stießen heiße Luft aus. Es roch nach geschmolzenem |206| Glas. Nebendran standen Dächer ohne Wände. Männer arbeiteten darunter: Sie hielten sich mit rußigen Armen lange Rohre vom Leib. Am Ende der Rohre wölbten sich glühende Glaskörper. Die Männer bliesen in die Rohre, und die Glutkörper wuchsen. Sie drehten sie, manche steckten sie in Formen und zwangen sie, sich in deren Innerem aufzublähen.
Die Glasbläser schnitten mit Zangen halbfestes, heißes Glas entzwei und schmolzen die Ränder über dem Feuer rund. Sie zogen lange Glasfäden, legten sie auf Schüsseln und drehten die Schüsseln in
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