Die Brillenmacherin
dann ganz. Die Preise sind gering für französischen Besitz auf englischem Boden. Es droht dem Eigentümer immer, daß er ihn durch den Krieg verliert.«
»Sir Cheyne …«
»Und wenn Ihr recht habt? Was soll ich tun? Alles verschenken? Das kommt nicht in Frage.«
»Ihr müßt nichts verschenken. Euer Blick soll sich nur auf etwas anderes richten als auf den Besitz. Dann werdet Ihr selbst wissen, was Ihr fortgeben solltet und woran Ihr Euch reinen Gewissens erfreuen dürft.«
Cheyne nickte. Er fuhr sich durch das glänzende schwarze Haar und sah aus dem Wagenfenster hinaus. Schließlich sagte er schlicht: »Ja.« Etwas leiser fügte er hinzu: »Sprechen wir von etwas anderem. Ich will über Eure Worte nachdenken, aber heute ist nicht der Tag für Trübsinnigkeit. Seid Ihr Margaret Lovetoft schon einmal begegnet?«
»Nein.«
»Sie sieht jung aus, hat frische, weiße Haut. Ihre dunklen Augen funkeln voller Lebenskraft. Und die hat sie! Den ganzen Tag hüpft sie umher wie eine junges Fohlen, biegt sich, springt, lacht, zupft an mir herum. Ihr mögt denken, das ist |202| wenig damenhaft, und das ist es auch, aber es gefällt mir. Sie ist lebendig, versteht Ihr? Und im Kopf ist sie keineswegs so unreif, wie sie sich verhält. Sie ertappt mich bei jeder Schwäche.« Er sah auf. »Ich weiß, was Ihr denkt. Ja, auch über den Reichtum hat sie schon mit mir gesprochen.«
»Sie wagt es also, Euch zu kritisieren, den hohen Herrn, während sie die Tochter eines Esquire ist? Das gefällt mir. Zeigt es nicht, daß sie Euch heiraten möchte und nicht Euren Besitz? Offenbar denkt sie wenig darüber nach, daß ihr Stand ein ganz anderer ist als der Eure.«
»So ist es. Ich habe das Gefühl, daß sie wirklich
mich
liebt, mit allen meinen Fehlern. So etwas habe ich noch nie erlebt.«
»Ihren Vater hat es nicht gestört, daß Ihr soviel Umgang habt, ohne verheiratet zu sein? Fürchtet er nicht um die Ehre seiner Tochter? Er könnte denken, Ihr gebraucht sie nur als Gespielin.«
»Es genügt, wenn er mich einmal ansieht, und er weiß, daß auch ich sie liebe, glaubt mir.«
»Wissen sie, daß Ihr heute kommt, weil Ihr um Margarets
Hand anhalten wollt?«
»Nicht, daß es heute geschehen wird.« Er lachte plötzlich auf. »Sie hat ein zahmes Huhn, denkt einmal, es verläßt die anderen Hühner, wenn es sie sieht, und läuft ihr hinterher. Am liebsten sitzt es bei ihr auf dem Arm und läßt sich streicheln. Es hält dann still, ich meine, es schließt sogar die Augen.«
Der Wagen hielt. »Die Kreuzung, Sir«, ertönte es von draußen.
Nicholas legte die Hand an den Griff der Wagentür. »Zeit für den Abschied. Eure Männer weisen mir das Pferd zu?« Er erhob sich, stand gebückt. »Wenn es nicht regnet, müßtet Ihr bald Southoe erreichen.« Er grinste. Den Ritter so verliebt zu sehen, war eine rechte Freude.
»Meinem Herzen, Doktor, könnte keine größere Freude widerfahren. Ich werde Margaret in die Arme schließen. Ihr ganzes Haus wird jubeln, wenn ich um ihre Hand anhalte.«
[ Menü ]
|203| 19
Auf alles war Catherine vorbereitet gewesen: auf Torwachen, die sie nicht beachteten, auf einen Hauptmann, der sie barsch hinauswies, auf Mägde, die sie verspotteten. Der sumpfige Burggraben und der Turm, der sich aus dem Herrenhaus wie ein schwarzer Felsen hinaufstreckte, ließen einen freundlichen Empfang sehr unwahrscheinlich erscheinen. Nun stand sie vor dem Tor, öffnete den Mund, schloß ihn wieder. Das war Margaret?
»Was erschreckt Euch?« Die junge Herrin sah vom Huhn auf ihrem Arm zu Catherine und zurück. »Fürchtet Ihr Euch vor meinem kleinen Liebling hier?«
Hinter ihr stürzte ein Diener heran. Er putzte sich den Staub vom fadenscheinigen, abgetragenen Leinenhemd und rief: »Fräulein Margaret, ungeheuerlich, was macht Ihr am Tor? Der Einlaß ist eine Aufgabe, die weit unter Eurem Stand ist.«
»Tja, ich war zuerst da, was will man da machen?«
»Aber ich bin doch gleich, als es klopfte –«
»Laß dich nicht ärgern. Ich war schon am Tor, ich wollte hinaus.« Sie wendete sich Catherine zu. »Da wir nun einmal alle versammelt sind: Wie können wir Euch helfen?«
»Ich bin Brillenmacherin und habe gehört, daß Ihr eine Glashütte besitzt.«
»Brillenmacherin?« Die Brauen der jungen Herrin sprangen in die Höhe. »Ich habe davon gehört, daß man sich inzwischen Lesesteine auch direkt vor die Augen hält und daß man so etwas Brille nennt. Aber daß sich ein ganzer Handwerkszweig damit befaßt, das
Weitere Kostenlose Bücher