Die Brillenmacherin
englischer Sprache vor.«
|199| »Wann wird es soweit sein?«
Wenn er floh wie jetzt, niemals. »Noch dieses Jahr.« Man sprach überall von ihm, Courtenay wußte genau, daß er zurück in England war. Und doch schien es, als hätten sich die Menschenjäger zurückgezogen. Courtenay holte aus zum vernichtenden Schlag. Wycliffes Klugheit, seine brillante Gedankenschärfe – er, Nicholas, reichte daran nicht heran, mochte er sich noch so sehr anstrengen. Wie sollte er den Schlingen des Erzbischofs entgehen?
Seit Wochen konnte er kaum an etwas anderes denken, wenn er sich über die Texte beugte. Er roch den Brand, es knisterte doch längst im Dach! Die Bedeckten Ritter ahnten es. Sir Thomas Latimer warb Söldner an, davon hatte der alte Schuster gesprochen. Sie bereiteten sich vor. Wie aber sollte er sich vorbereiten, der Greis, den die Christenheit der Welt zerknacken wollte wie einen Floh? Vielleicht konnte er in Oxford Aston treffen, Parker, Swynderby. Er sehnte sich danach, Freunde zu sehen. Er mußte sich ihrer Unterstützung versichern. Vor allem aber wollte er Robert Rigg treffen, den Kanzler der Universität, der ihn immer wieder ermutigt hatte.
Wie hatte es Wycliffe im Brief an die Römer, Kapitel acht, übersetzt?
Forsoþe wee witen for to men lovende god alle thingis wirken togidere in to good.
Wir wissen, daß denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen. Auch diese Reise nach Oxford, auch diese Flucht würde Gott zu etwas Gutem gebrauchen.
Sein Blick fiel auf den Obsidianspiegel in Cheynes Händen. John Wycliffe hatte in
De civili dominio
geschrieben: Alle Güter Gottes sollten nicht einem einzelnen gehören, sondern den Menschen gemeinsam. Cheyne ließ sich vom Reichtum blenden. Es war unrecht, dazu zu schweigen. »Ich bin froh, daß der Bund der Bedeckten Ritter bereit ist, den falschen Lehren der Kirche zu widersprechen.«
»Es ist unsere Pflicht, Doktor.«
»Und es ist gut, daß Ihr dem Adelsstand angehört und Euch zu verteidigen wißt. Selbst Euer Besitz, ich meine, die |200| Ländereien, die Mühlen, die Tiere, die Zolleinnahmen, Werkhütten, und was es sonst noch alles gibt – der Besitz baut einen Schutzwall gegen die Wut der Kirche auf.«
»Worauf wollt Ihr hinaus?«
Er bemühte sich, Cheyne gerade und furchtlos in die Augen zu sehen. »Ich bin mir nicht sicher, John, ob dieser Besitz in Eurem Leben nicht einen zu großen Stellenwert einnimmt.«
Der Ritter ließ sich zurück in die Sitzlehne fallen, lächelte. Das Lächeln erlosch. Dann lächelte er wieder. Die Augenbrauen zuckten. »Wie meint Ihr das? Ich lese Andachten und die Bibel, ich bete häufig. Gott weiß, daß ich wenig an den Reichtum denke. Ich denke ja nur an Margaret, das könnt Ihr mir glauben!«
»Was habt Ihr heute gefrühstückt?«
»Warum fragt Ihr das? Ihr wart doch dabei!«
»Ich will, daß Ihr Euch daran erinnert.«
»Ich habe Weißbrot in Wein eingetunkt.«
»Was meint Ihr, wie viele Menschen in England so am Morgen essen?«
»Ich bin Ritter und gehöre zum Hochadel. Es sollte doch nicht verwundern, daß meine Tafel andere Speisen trägt als der Tisch einer Bauernfamilie.«
»Nun, dann berichtet mir, was Ihr in Langar für gewöhnlich zu Mittag eßt.«
Etwas zögerlich begann Cheyne: »Wir haben Hechte und Brassen im Teich, und Rebhühner im Gehege.«
»Und weiter?«
»Ansonsten hat der Koch Fisch- und Fleischpastete vorrätig.«
»Dazu?«
»Er kocht pikante und scharfe Saucen. Und es gibt einen guten Wein zum Mahl, das gestehe ich. Mein Weinkeller ist dem anderer Herren überlegen.«
»Was ist mit Eurem Kaninchengehege?«
»Das ist unbedeutend! Einige umzäunte Hügel, von Löchern durchsetzt. Wir lauern mit Netzen, bis wir eines der Tiere zu |201| packen kriegen. Manchmal graben sich die Kaninchen Tunnel und entkommen dem Gehege, der Mann, der sich um meine Rebhühner kümmert, muß auch sie überwachen. Eine Spielerei.«
»Eine Spielerei, die zartes Fleisch verschafft. Es heißt zudem, daß bunte Gläser Eure Fenster zieren, die ein Vermögen gekostet haben.«
»Daran stört Ihr Euch?«
»Und man munkelt, daß Ihr bereits Landstücke in Frankreich kauft.«
»So ein Unfug! Ich weiß einfach zu wirtschaften. Und es handelt sich nicht um Land in Frankreich, sondern um Land in England, in Gloucestershire, verschiedene Güter, die französischen Abteien gehören. Zuerst biete ich den Franzosen an, sie zu verwalten und eine Miete dafür zu entrichten, und nach einiger Zeit kaufe ich sie
Weitere Kostenlose Bücher