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Die Brillenmacherin

Die Brillenmacherin

Titel: Die Brillenmacherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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des Abwasserkanals, Thomas ritt rechts davon. Die Hauswände warfen das Hufgetrappel vielfach zurück; es hörte sich an, als hätten sich weitere Reiter zu ihnen gesellt. Ob die Frau ertrunken war? Gern wäre er umgekehrt und hätte nach ihr gesehen.
    »Wo ich gerade das Karmeliterkonvent sehe«, sagte Nevill, »wolltest du dir nicht die Haare lang wachsen lassen?«
    »Ach, ihr Höfischen …«
    »Du gehörst zu uns, ich meine, du bist nicht einer von diesen Landrittern.«
    Von allen Rittern des Geheimbunds verbrachte er die wenigste Zeit am Königshof. William war freundlich, ihn als einen der Ihren zu bezeichnen, er, William, dessen Bruder der Erzbischof von York war, er, der als Admiral die königliche Marine nördlich der Thames befehligt hatte, er, der mit einunddreißig Jahren einen Feldzug in die Bretagne anführte, um seinen Bruder, das damalige Familienoberhaupt, zu befreien, als der in Brest Castle belagert wurde. William Nevill gehörte zur Spitze der englischen Ritterschaft.
    Thomas, nun, er galt als gefährlich auf dem Schlachtfeld, man sagte ihm Mut nach, das wußte er. Aber wenn er ehrlich war: Viel trennte ihn nicht von den Landrittern, die Nevill so |217| verachtete. Er war zweimal für Northamptonshire im Parlament gewesen. Und sonst? Der Höhepunkt seines Ansehens war längst überschritten. Er hatte einmal die Mutter des Königs, Joan von Kent, beschützen dürfen, sie hatte ihn gemocht; inzwischen war sie gestorben und konnte ihn nicht mehr fördern.
    »Wenn wir ehrlich sind«, sagte er, »bin ich keiner von euch.«
    »Und woran liegt es?« Nevill nahm eine Hand vom Zügel und wies auf Thomas. »Du siehst aus wie einer dieser Grobiane, die kärglich von einem halben Rittergut leben. Das beschränkt deine Möglichkeiten, verstehst du? Der König würde niemanden in politischer Mission nach Frankreich schicken, hinter dessen Rücken dort gespottet werden würde.«
    »Und meine kurzen Haare geben Anlaß zu Gespött?«
    »Nur wer selbst Hand an Pflug und Sense legen muß, schneidet sich die Haare ab, damit sie ihn nicht behindern. Dein Teil ist das Kämpfen und das Herrschen!«
    »Habe ich dich in Verruf gebracht am Hof?«
    »Man weiß von unserer Freundschaft und nimmt sie hin.«
    Es war wohl unmöglich, William Nevill in Verruf zu bringen.
    Sie ritten die breite Rampe zur Burg hinauf. Die Pferde gingen schwer, sie mühten sich. Die Klippen im Süden und Westen der Burg fielen weit über einhundert Fuß ab in die Tiefe, diese Höhe wollte erklommen sein. Thomas mußte sich eingestehen, daß er Neid empfand. Braybrooke Castle war ein Spielzeug gegen die Festung William Nevills.
    Eine steinerne Brücke überspannte die Schlucht. Sie ritten darüber, und bald polterten die Pferdehufe über eine Zugbrücke. Wer vermochte ein solches Bauwerk einzunehmen? Schon an diesem ersten Wall mußten die Angreifer scheitern: Hunderte Yard bester zinnenbewehrter Mauern, im Fundament so breit wie zwei Ochsenkarren. Jeder Abschnitt mit Posten besetzt; sie streckten die Nacken, als hätten sie Lanzen verschluckt. William Nevill schien sie nicht wahrzunehmen, |218| und vermutlich waren sie froh darüber – Untergebene, die in sein Blickfeld gerieten, entkamen selten ohne Maßregelung.
    Die Straße krümmte sich ein wenig. Sie führte weiter hügelan zu einer zweiten Zugbrücke und einem zweiten Tor, bewacht von dickbäuchigen Türmen. Zwischen den Mauerringen, rechts und links der Straße, grasten Schafe und Rinder.
    In der Einfahrt zum Burghof preßten Waffenknechte die Hand an den Schwertknauf und machten ihnen Platz. Thomas beneidete den Freund um jeden dieser Männer, er beneidete ihn um die große Halle in der Mitte des Hofs, in der Earl Mowbray zu seinem Vergnügen Feste feierte und in der es Parlamentssitzungen gegeben hatte, Parlamentssitzungen! Braybrooke Castle wüßten die Schreiber in den königlichen Kanzleien vermutlich nicht einmal dem richtigen Shire zuzuordnen.
    William Nevill war Sachwalter des bedeutendsten militärischen Bauwerks der Midlands. Nottingham Castle beherrschte den Fluß Trent und die Straße von London in Richtung Norden. Und Thomas mußte sich eingestehen, daß der Freund die Festung glänzend verwaltete.
    »Wollen wir zum Falkenhaus?«
    »Nein«, sagte Thomas, »steigen wir auf die Mauer. Bei den Falken könnten sich Lauscher verbergen.«
    Sie ließen die Pferde in den Händen einiger Knappen zurück und stiegen die lange Treppe hinauf, die zu den Zinnen führte. Thomas bemerkte

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