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Die Brooklyn-Revue

Die Brooklyn-Revue

Titel: Die Brooklyn-Revue Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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Straßenlaterne. Knittrige Polyesteranzüge (vornehmlich braun), dicke Hornbrille, Schuppen ohne Ende und eine aufreizende Aversion gegen jede Art von persönlichem Gespräch. Wenn jemand mit Gipsarm oder Augenklappe zur Arbeit erschien, verlor Henry kein Wort darüber. Er sah einen bloß kurz an, registrierte den Schaden und legte einem dann, ohne sich danach zu erkundigen, wie es zu der Verletzung gekommen sei oder ob man Schmerzen habe, kühl seinen Bericht auf den Schreibtisch.
    Aber immerhin, er war ein gewiefter Schnüffler und verstand sich darauf, verschollene Personen aufzuspüren; inzwischen war er im Ruhestand, und ich dachte mir, vielleicht ist er ja bereit, den Job zu übernehmen. Zum Glück lebte er immer noch in seiner alten Wohnung in Queens, die er mit seiner verwitweten Schwester und vier Katzen teilte. Ich wählte seine Nummer, und beim zweiten Läuten nahm er ab.
    «Sag mir nur den Preis», forderte ich ihn auf. «Ich zahle alles, was du verlangst.»
    «Ich will dein Geld nicht, Nathan», antwortete er. «Zahl mir die Spesen, und die Sache ist abgemacht.»
    «Das könnte Monate dauern. Es wäre mir sehr unangenehm, wenn du so viel Zeit aufwenden müsstest, und am Ende käme nichts dabei heraus.»
    «Das ist schon in Ordnung. Ich kann nicht behaupten, dass ich gerade etwas Besseres zu tun hätte. Ich schwingemich wieder in den Sattel und lasse die großen Zeiten nochmal aufleben.»
    «Die großen Zeiten?»
    «Ja, sicher. Die herrlichen Dinge, die wir gemeinsam erlebt haben, Nathan. Dubinsky. Williamson. O’Hara. Lupino. Du erinnerst dich doch noch an diese Fälle?»
    «Natürlich erinnere ich mich daran. Ich wusste nur nicht, dass du so ein Gefühlsmensch bist, Henry.»
    «Bin ich nicht. Jedenfalls habe ich mich nie für einen gehalten. Aber du kannst dich auf mich verlassen. In Erinnerung an alte Zeiten.»
    «Ich gehe von North oder South Carolina aus. Das kann aber auch falsch sein.»
    «Keine Sorge. Vorausgesetzt, Minor hatte überhaupt mal irgendwann ein Telefon, werde ich ihn finden. Garantiert.»
    Sechs Wochen später rief Henry mitten in der Nacht an und murmelte mir vier Silben ins Ohr: «Winston-Salem.»
    Am nächsten Morgen saß ich im Flugzeug und flog nach Süden ins Zentrum des Tabakanbaus.

DAS LACHENDE MÄDCHEN
    H awthorne Street 87 war ein schäbiges zweigeschossiges Haus an einer halb ländlichen, halb vorstädtischen Straße etwa drei Meilen vom Stadtzentrum. Ich verfuhr mich mehrmals, bis ich es gefunden hatte, und als ich meinen gemieteten Ford Escort in der unbefestigten Einfahrt parkte, fiel mir auf, dass alle Jalousien der vorderen Fenster zugezogen waren. Es war ein düsterer, bewölkter Sonntag Mitte Dezember. Ich musste vernünftigerweise annehmen, dass niemand zu Hause war – oder Rory und ihr Mann lebten in diesem Haus wie in einer Höhle, hielten das grelle Tageslicht von sich fern, verwahrten sich gegen die Zudringlichkeiten der Außenwelt und bildeten eine geschlossene Zweiergesellschaft. Es gab keine Klingel, also klopfte ich an die Tür. Als sich nichts tat, klopfte ich noch einmal. Seit Rorys Nachricht auf Toms Anrufbeantworter hatten wir ständig damit gerechnet, dass sie noch einmal anrufen würde. Aber danach war wieder Funkstille gewesen, und als ich jetzt vor diesem allem Anschein nach leeren Haus stand, kam mir allmählich der Verdacht, dass sie gar nicht mehr hier wohnte. Alle möglichen schauderhaften Gedanken schossen mir durch den Kopf, als ich zum dritten Mal klopfte. War sie womöglich weggelaufen, fragte ich mich, und Minor hatte sie wieder eingefangen? Hatte er sie in eine andere Stadt, in einen anderen Bundesstaat gebracht, und wir hatten ihre Spur für immer verloren? Hatte er sie im Affekt niedergeschlagen und getötet? War vielleicht schon alles aus, und ich kam zu spät, ihrzu helfen, zu spät, sie in die Welt zurückzubringen, in die sie gehörte?
    Die Tür ging auf, und vor mir stand Minor, ein großer, gut aussehender Mann von etwa vierzig Jahren mit dunklem, ordentlich gekämmtem Haar und freundlichen blauen Augen. Ich hatte ihn mir in den vergangenen Monaten zu einem solchen Ungeheuer aufgebaut, dass ich geradezu schockiert bemerkte, wie wenig bedrohlich er aussah, wie
normal
. Wenn irgendetwas an ihm befremdlich wirkte, dann nur das langärmelige weiße Hemd und die blaue, straff geknotete Krawatte. Welcher Mann läuft denn zu Hause mit Schlips und weißem Hemd herum?, fragte ich mich. Es dauerte ein wenig, bis ich die Antwort hatte. Ein

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