Die Brooklyn-Revue
ausgebadet. Mit einem Wort, es kann gut sein, dass sie nie mehr mit mir reden will.»
«Das tut mir sehr Leid für dich, Nathan.»
«Nicht doch. Das ist es nicht wert. Wenn du nichts dagegen hast, würde ich lieber dich bedauern.»
DIE KÖNIGIN VON BROOKLYN
A ls Tom und ich uns am nächsten Mittag wieder zum Essen trafen, taten wir das im Bewusstsein, ein kleines Ritual ins Leben zu rufen. Wir sprachen nicht darüber, aber es stand für uns fest, dass wir, abgesehen von den Tagen, an denen wir anderweitig verpflichtet waren, so oft wie möglich gemeinsam zu Mittag essen wollten. Dass ich doppelt so alt war wie er und einmal sein Onkel Nat gewesen war, spielte keine Rolle. Wie Oscar Wilde sagt, sind Menschen über fünfundzwanzig alle gleich alt, und tatsächlich waren unsere gegenwärtigen Umstände ja nahezu identisch. Wir lebten beide allein, keiner von uns hatte mit einer Frau zu tun, und keiner von uns hatte viele Freunde (ich selbst überhaupt keine). Konnte man die Monotonie der Einsamkeit besser aufbrechen, als sich mit seinem Amtsbruder, seinem Mitmenschen, seinem verloren geglaubten Tomassino am Futternapf zu treffen und beim gemeinsamen Spachteln miteinander zu plaudern?
An diesem Tag hatte Marina Dienst, und sie sah phantastisch aus in ihren hautengen Jeans und der orangefarbenen Bluse. Eine herrliche Kombination, an der ich mich weidete, als sie zu uns an den Tisch kam (die Vorderansicht ihrer üppigen, rührenden Brüste), und dann wieder, als sie sich von uns entfernte (die Rückansicht ihres runden, fast zu prallen Hinterns). Nach meiner Träumerei von unserem nächtlichen Schäferstündchen war ich ihr gegenüber ein wenig zurückhaltender als sonst, aber mein unerhörtes Trinkgeld vom letzten Mal war noch nicht vergessen, undsie nahm unsere Bestellung mit einem so strahlenden Lächeln entgegen, als wisse sie (bildete ich mir ein), dass sie mein Herz auf ewig erobert hatte. Ich kann mich an kein Wort erinnern, das wir miteinander gewechselt haben, aber am Ende hatte ich offenbar ein ziemlich dämliches Grinsen im Gesicht, denn als sie in Richtung Küche verschwand, meinte Tom, ich sähe aber merkwürdig aus – ob mir etwas fehle? Ich versicherte ihm, mir gehe es blendend, und dann, im nächsten Atemzug, brach das Geständnis aus mir heraus, und ich hörte mich sagen, ich sei irrsinnig verknallt, aber sie erwidere meine Liebe nicht. «Ich würde Himmel und Hölle für dieses Mädchen in Bewegung setzen», sagte ich, «aber das würde mir auch nichts nützen. Sie ist verheiratet und außerdem zu hundert Prozent katholisch. Aber immerhin kann ich von ihr träumen.»
Ich machte mich darauf gefasst, von Tom ausgelacht zu werden, aber das tat er keineswegs. Mit vollkommen ernster Miene griff er über den Tisch und klopfte mir auf die Hand. «Ich weiß, wie du dich fühlst, Nathan», sagte er. «So was ist furchtbar.»
Jetzt war er an der Reihe, mir etwas zu gestehen. Jetzt hörte ich ihn sagen, dass auch er eine Frau liebte, die unerreichbar war.
Er nannte sie S. p. M. Das stand für Schöne perfekte Mutter, und er hatte nicht nur noch nie ein Wort mit ihr gewechselt, sondern wusste noch nicht einmal ihren Namen. Sie wohnte in einem Brownstone auf halbem Weg zwischen seinem Apartment und Harrys Buchladen, und jeden Morgen, wenn er zum Frühstück ging, sah er sie mit ihren zwei Kindern auf der Eingangstreppe ihres Hauses sitzen und auf den gelben Bus warten, mit dem die beiden zur Schule fuhren. Sie sei außerordentlich attraktiv, sagte Tom, sie habe langes schwarzes Haar und leuchtend grüne Augen,aber was ihn am meisten an ihr berühre, sei die Art, wie sie ihre Kinder in den Armen halte und streichele. Nie zuvor habe er eine so beredte und doch so einfache, so zärtliche und vorbehaltlos glückliche Bekundung von Mutterliebe gesehen. An den meisten Morgen saß die S. p. M. zwischen den beiden Kindern, die sich an sie lehnten, hielt jedes in einem Arm und drückte und küsste sie abwechselnd; manchmal schaukelte sie die beiden auch auf ihren Knien und hielt sie eng umschlungen, und alle drei herzten einander, sangen und lachten – ein magischer Zirkel. «Ich gehe da immer so langsam vorbei wie möglich», fuhr Tom fort. «Einen solchen Anblick muss man genießen, und oft tue ich so, als sei mir etwas hingefallen, oder ich bleibe stehen und mache mir eine Zigarette an – Hauptsache, ich kann das Vergnügen ein paar Sekunden ausdehnen. Sie ist so schön, Nathan, und wenn ich sie mit diesen
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