Die Bruderschaft Christi
Zimmer auf und ab. Rastlos, ruhelos und ratlos. Nach der Unterredung mit diesem größenwahnsinnigen Pater war der Kardinal umgehend zurück nach Paris geflogen. Er hatte versucht, Benoit zu erreichen, doch seine Versuche blieben erfolglos. Der Kardinal seufzte.
Schon damals, als er von den Kontakten Rafuls zu den beiden Geistlichen in Deutschland erfahren hatte und nachdem Benoits Männer in der Wieskirche den Schlüssel zu der Schatulle gefunden hatten, die ihnen im Kloster Ettal in die Hände gefallen war, wusste er, dass das Schicksal der Bruderschaft auf des Messers Schneide stand. Die Fragmente, die die Schatulle enthielt, ließen keinen Zweifel zu, dass das Vermächtnis der Templer unweit des Tempelberges in Jerusalem schlummerte. Und dieses Vermächtnis hatte über die Jahrhunderte nichts von seiner zerstörerischen Macht verloren. War dies nun das Ende der Bruderschaft?
Die Worte des Paters hatten ihn wie Peitschenhiebe getroffen, und sie ließen ihn nicht mehr zur Ruhe kommen. Was würde in sechzig Stunden geschehen, würde ihn der Kardinalpräfekt tatsächlich fallen lassen wie eine heiße Kartoffel? Der Kardinalpräfekt, sein langjähriger Wegbegleiter, hatte sich verleugnen lassen, als er ihn zu sprechen versuchte. War dies der Anfang vom Ende? Sicherlich, der Präfekt war kein Mitglied der Bruderschaft, war es nie gewesen, dennoch hatte er von deren Existenz gewusst und sie auch toleriert. Und nun hatte er sich von seinem Freund abgewandt. Beinahe fünfundvierzig Jahre Freundschaft, weggewischt innerhalb eines einzigen Tages.
Er bezweifelte keine Sekunde, dass der Pater ausreichende Beweise gegen ihn und seine Mitstreiter in den Händen hielt, und er wusste: Würde jemals die Öffentlichkeit erfahren, welche Taten die Bruderschaft zu verantworten hatte, so würde ein Aufschrei durch das Land gehen. Man würde ihre Köpfe fordern, so wie der Pater jetzt seinen Kopf forderte. Niemand würde verstehen, dass auch das letzte Mittel, nämlich der Tod eines Menschen, notwendig war, um Millionen und Abermillionen von Christen vor einer geistigen Leere zu bewahren.
Pater Leonardo hatte seinen Rücktritt gefordert. Er hatte gefordert, alles zu geben, wofür er gelebt hatte. Er wollte ihm den Sinn seines Lebens nehmen. Kardinal Borghese hatte Angst zu fallen. Er hatte Angst davor, nicht mehr Teil dieser Gemeinschaft sein zu dürfen.
Und Benoit, er hatte von der Existenz der Bruderschaft profitiert. Er hatte dieser Verbindung, die sich weit über das alte Europa erstreckte, seine Macht und seinen Einfluss zu verdanken. Und den grenzenlosen Reichtum, den ihm die Geschäfte mit seinen Glaubensbrüdern einbrachten. Die Bruderschaft hatte Benoit Zugang verschafft in alle Bereiche des weltlichen Lebens.
Aber was dachte er jetzt an Benoit, an sich sollte er denken, nur an sich, denn er stand in knapp sechzig Stunden mit leeren Händen da. All seiner Macht und all seines Einflusses beraubt, in die Bedeutungslosigkeit versunken. Und dabei hatten ihn viele als den kommenden Mann gesehen. In wenigen Jahren wäre sein Stern aufgegangen und der Heilige Stuhl in greifbare Nähe gerückt.
Kardinal Borghese griff erneut zum Telefon und wählte Benoits Nummer. Würde ihm auch Benoit die Hilfe verweigern? Wo steckte er nur? Hatte er das nahe Ende kommen sehen und sich bereits abgesetzt? Er hatte Besitztümer in aller Welt. Und er würde trotz des Falls der Bruderschaft weiterhin nicht am Hungertuch nagen. Vorjahren hatte er Borghese einmal gesagt, dass sich ein kluger Mann auf alle Eventualitäten vorbereiten sollte. Damals hatte er eine Farm in Argentinien erstanden. Man konnte nie wissen, ob man irgendwann eine Rückzugsmöglichkeit benötigte. Doch er selbst hatte keine Rückzugsmöglichkeit für sich geschaffen, er war noch lange nicht an seinem Ziel angekommen. Aber dieses Ziel war nun unerreichbar geworden.
Kardinal Borghese hatte nur eine Leidenschaft, der er hin und wieder frönte. Eine ganz weltliche, fast banale Sache, welche die Herzen vieler Menschen, Männer vor allem, höher schlagen ließ. Er verließ sein Zimmer. Er hatte das Gefühl, ersticken zu müssen.
In der Garage stand der kleine rote Alfa aus den sechziger Jahren und glänzte im Neonlicht. Dieser Wagen, ein offener Roadster, war schon oft zu seiner letzten Zuflucht geworden. Wenn er das kräftige Brummen des Motors hörte und die kühle Luft an seiner Stirn fühlte, dann wurde er sich über so manche Dinge klar.
Er setzte sich hinter das Steuer und
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