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Die Bruderschaft der Runen

Titel: Die Bruderschaft der Runen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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haben?«
    »In den Kreisen, aus denen ich stamme, ist so etwas durchaus üblich«, erwiderte Mary, »und als gute Tochter meines Hauses muss ich mich dem Willen meiner Familie beugen, nicht wahr?«
    »Natürlich«, sagte Quentin und errötete schon wieder. »Bitte, ich wollte Sie nicht verletzen.«
    »Sie haben mich nicht verletzt, lieber Master Quentin«, sagte sie, und für einen kurzen Augenblick begegneten sich ihre Blicke. »Bisweilen können Fremde uns besser begreifen als Menschen, die uns nahe stehen, aber danach wird nicht gefragt. Ich habe mich dem Willen meiner Familie zu fügen und werde auf Schloss Ruthven eine neue Heimat finden. Schade ist nur, dass nahezu alles, was ich aus meinem alten Leben bei mir hatte, in den Fluten versunken ist.«
    »Es muss schrecklich sein, alles zu verlieren«, sagte Lady Charlotte mitfühlend. »Kleider und Geschmeide, alles, worauf eine Lady Wert legt.«
    »Um meine Kleider ist es mir nicht schade«, versicherte Mary. »Aber meine Bücher reuen mich. Obwohl ich froh darüber sein sollte, mit dem Leben davongekommen zu sein, habe ich das Gefühl, gute Freunde verloren zu haben. Können Sie das verstehen?«
    »Natürlich verstehe ich das«, versicherte Sir Walter. »Möglicherweise versteht es sogar niemand besser als ich. Ein guter Roman ist tatsächlich wie ein Freund, nicht wahr?«
    »Das stimmt.«
    »Was haben Sie gerade gelesen?«
    »Einen sehr spannenden Roman, der im englischen Mittelalter spielt. Er hieß Ivanhoe.«
    »Und? Wurden Sie gut unterhalten?«, fragte Sir Walter, ohne mit der Wimper zu zucken.
    »Allerdings«, bestätigte Mary. »Der Romancier, der Ivanhoe verfasst hat, ist übrigens Schotte.«
    »Ein Schotte? Sollte ich ihn kennen?«
    »Das denke ich wohl, Sir Walter«, versetzte Mary lächelnd. »Denn obgleich der Verfasser des Romans lieber unerkannt bleiben möchte, weiß ich sehr wohl, dass Sie selbst ihn geschrieben haben.«
    Es war eine der seltenen Gelegenheiten, zu denen man Sir Walter sprachlos erlebte. Zwar hing er seine Schriftstellerei nicht an die große Glocke, aber er hatte nicht verhindern können, dass sich in den letzten Jahren herumgesprochen hatte, aus wessen Feder die Abenteuer Ivanhoes und anderer Romangestalten stammten. So versuchte er es erst gar nicht zu leugnen, zumal das Lob der jungen Frau ihm schmeichelte.
    »Bitte zürnen Sie mir nicht, dass ich es Ihnen nicht gleich gesagt habe, Sir Walter«, bat Mary. »Ich tat es nicht aus mangelndem Respekt, denn Ihre Romane sind Meisterwerke. Ich habe jeden gelesen, dessen ich habhaft werden konnte, und ich kenne niemanden, der die Gefühle vergangener Zeiten so packend in Worte zu kleiden versteht wie Sie. Beim Lesen Ihrer Bücher hat man den Eindruck, dass Sie mit den Helden fühlen. Dass in Ihrer Brust ein Herz schlägt, das Werte wie Anstand und Ehre nicht vergessen hat. Auch nicht in diesen Zeiten.«
    Sir Walter war es gewohnt, kritisiert zu werden; in Edinburgh gab es nicht wenige selbst ernannte Fachleute, die in seinem Werk diese und jene Schwäche zu erkennen glaubten und sich zu Richtern seines Schaffens aufspielten. Noch niemals hatte er ein Kompliment erhalten, das so aus dem Innersten zu kommen schien wie bei Lady Mary.
    »Ich danke Ihnen, Mylady«, sagte er schlicht.
    »Nein, Sir – ich danke Ihnen. Denn Ihre Romane haben mir geholfen, dass ich in den letzten Jahren die Hoffnung nicht verloren habe. Sie haben mich die ganze Zeit über begleitet, selbst hierher in die Fremde.«
    »Wenn meine Romane Ihnen gefallen haben, Lady Mary, wenn sie Ihr Herz berührt haben, dann sind Sie in diesem Land nicht fremd.« Sir Walter lächelte, und seine Stimme bebte ein wenig, als er fortfuhr: »Wie Sie festgestellt haben werden, besteht an Büchern in Abbotsford kein Mangel. Wenn Sie erlauben, wird es mir eine Freude sein, Sie mit einigen Exemplaren aus meiner Bibliothek auszustatten.«
    »Das ist sehr freundlich von Ihnen, Sir, aber das kann ich unmöglich annehmen. Sie haben schon so viel für mich getan!«
    »Nehmen Sie es ruhig an, mein Kind«, sagte Lady Charlotte, und ein Schmunzeln umspielte dabei ihr sanftes Gesicht. »Wenn mein Gatte sich von einigen seiner geliebten Bücher trennt, sollten Sie zugreifen, ehe er zu Verstand kommt und es sich anders überlegt.«
    Alle lachten, am lautesten Sir Walter, auf dessen Kosten der Scherz gegangen war. Im Schein des Kerzenlichts unterhielt man sich weiter, und der nächste Gang wurde aufgetragen.
    Man tauschte Gedanken aus und erlebte

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