Die Bruderschaft der Woelfe
diese Frau schießt! Das kann nicht sein!«
Myrrima stand im Hintergrund des Saales, im Schatten nahe des mit einem Vorhang verhängten Eingangs. Sie war so verlegen, daß es schien, als wollte sie sich rücklings aus dem Saal schleichen.
»Und doch stimmt es«, rief Iome. »Sie hat gut genug
geschossen, um den Glorreichen der Finsternis zu töten. Ihr wohnt das Herz eines Kriegers inne, und bald wird sie auch über die entsprechenden Gaben verfügen!«
»Nun, dann zeigt uns endlich diese Kämpferin!« rief einer der Lords, und Binnesman drängte Myrrima, aus den Schatten hervorzutreten.
Die Lords brachen in ohrenbetäubenden Jubel aus. Der Lärm hallte von den Steinwänden wider, und Gaborn feuerte den Beifall mehrere Minuten lang an, damit Myrrima ihren großen Augenblick genießen konnte.
Schließlich hob er die Hände und bat die Lords um Ruhe.
»Möge Myrrimas Tat Euch stets daran erinnern, zu welchen Leistungen uns die Erdkräfte anzuspornen vermögen. Sie sind unsere Beschützer und unsere Stärke.
Wie Ihr wißt«, fuhr er fort, »habe ich ein Dutzend erwählter Boten ins Ausland entsandt. Drei von ihnen befinden sich zur Zeit auf Burg Carris, die Raj Ahtens Soldaten umzingelt haben.
Ich spüre die Gefahr, in der sie schweben, und der Erdgeist hat mir folgende Warnung übermittelt: ›Beeilt Euch. Beeilt Euch und greift an!‹«
Er schlug auf den Tisch, um die Wirkung seiner Worte zu erhöhen.
»Wie Ihr ebenfalls wißt, plante ich, morgen früh bei
Tagesanbruch nach Fleeds aufzubrechen. Ich fürchte aber, jetzt bin ich gezwungen, früher loszureiten. Sobald der Mond aufgeht, werde ich mich in den Sattel schwingen und morgen in Fleeds nur kurz Rast machen. Ich fordere jeden Mann auf, dessen Pferd mit meinem Schritt halten kann, mich zu begleiten, und die, deren Tiere dies nicht können, so schnell wie möglich nachzukommen. Wenn uns das Glück hold ist, stoßen wir nicht später als morgen abend bei Einbruch der Dämmerung in Carris zu König Beldinook. Wir ziehen in den Krieg!«
Die Lords jubelten und hielten in ihrem Begeisterungssturm erst inne, als Gaborn schließlich zu Myrrima hinüberging, ihren Ellenbogen nahm und sie zusammen mit Jureem in den Burghof geleitete, um die gleiche Rede vor den dort lagernden Soldaten zu halten.
KAPITEL 4
Der Geruch des Nachtwindes
n jener Nacht nahm Myrrima, nachdem sie den Beifall
Ientgegengenommen hatte, ihre Zwingeisen, ging hinüber in den Bergfried der Übereigner und bat Grovermans Annektor, an ihr etwas vorzunehmen, das sie stets für ein Greuel gehalten hatte.
Der Annektor war erschöpft, hatte jedoch Verständnis für ihre Eile. Er bat sie also mit ihrem Korb voller Welpen herein und hieß sie auf einem kalten Stuhl Platz nehmen.
Durch die Fenster des Turmes schien das Licht der Sterne herein, und der Wind, der in den Raum hereinwehte, roch scharf und frisch.
Der hellbraune Welpe strampelte in Myrrimas Hand.
Während sie ihn festhielt, mußte sie die Tränen unterdrücken.
Sie hatte Gaben von ihrer Mutter und ihren Schwestern empfangen. Auf Geheiß ihrer Mutter hatte sie deren Geisteskraft akzeptiert. Auf Geheiß ihrer Schwestern hatte sie deren Anmut übernommen, und das alles, um eine gute Partie machen und für sie sorgen zu können.
Doch die Früchte ihrer Tat schmeckten bitter.
Myrrima hatte deswegen ein schlechtes Gewissen, und nun schickte sie sich an, dieses Verbrechen zu wiederholen. Doch derweil manche Dinge beim zweiten Mal einfacher wurden, wurden andere geradezu unmöglich.
Nichtsahnend starrte sie der Welpe aus großen, braunen, liebevollen Augen an. Sie kannte den Schmerz, den der Kleine gleich würde erdulden müssen, wußte, daß sie ihm entsetzlich weh täte, ihm sein Durchhaltevermögen aus keinem anderen Grund als dem entziehen würde, daß er sie liebte, daß er mit einer Veranlagung geboren worden war, die es ihm ermöglichte, sie zu lieben und ihr zu dienen. Sie streichelte ihn, versuchte ihn zu trösten. Der Welpe leckte ihr die Hand und knabberte vorsichtig an ihrem Ärmel.
Myrrima hatte das Zimmer des Annektors in Herzog
Grovermans Bergfried allein aufgesucht, weil Iome müde war und ins Bett gehen wollte. Sie war allein gekommen, weil sie sich dessen schämte, was sie jetzt gezwungen war zu tun – obwohl alle Ritter Heredons ihr zugejubelt hatten.
Herzog Grovermans oberster Annektor war von
schmächtigem Wuchs, ein alter Mann mit Falten um die
Augen und einem weißen Bart, der ihm fast bis auf den Bauch
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