Die Bruderschaft des Feuers
bitte Euch, sagt mir zum Wohle aller, was Ihr wisst.«
Pater Cherubino trat ans Fenster und sog in tiefen Zügen die Luft ein, die nach Schnee roch. Eine Zeit lang war in der Zelle nur das Prasseln des Holzes in der Feuerstelle zu hören.
»Nun gut«, sagte er schließlich und wandte sich ruckartig um. »Damals war der Mithraskult unter den Römern weitverbreitet, vor allem bei den Legionären. Die Soldaten malten häufig das Symbol des sol invictus auf ihre Schilde, mit diesem Namen bezeichneten die Römer den persischen Gott. Habt Ihr es jemals gesehen?«
»Nein«, entgegnete Mondino. »Wie sieht es aus?«
Der Mönch ging zu der Steinplatte der Feuerstelle, nahm eine Schaufel und breitete etwas abseits von der brennenden Glut eine Schicht Asche aus. Mit der Schaufelecke zeichnete er ein X und darüber ein Kreuz, in die Mitte setzte er einen kleinen Kreis.
»Dies ist das Symbol der strahlenbekränzten Sonne«, sagte er. »Wie Ihr seht, ist es dem chrismon ziemlich ähnlich. Nun gut«, unterbrach er sich und schüttelte den Kopf, als könnte er sich nur mit Mühe überwinden, die folgenden Worte laut auszusprechen, »einige Geschichtsschreiber behaupten, dass es dieses Kreuz war, welches Konstantin und seine Soldaten vor der Sonne gesehen haben, und nicht etwa das chrismon . Eine solche Gottlosigkeit ist kaum zu glauben, aber ich selbst habe vor Jahren einen Text den Flammen übereignet, in dem es genauso stand, daher kann ich aus eigenem Augenschein davon berichten.«
Mondino kam plötzlich ein Geistesblitz, der einen Moment lang die Zelle, die Feuerstelle und das hagere Gesicht von Pater Cherubino verblassen ließ.
»Einen Augenblick«, sagte er. »In den Darstellungen des chrismon , die ich bis jetzt gesehen habe, stehen die Buchstaben oft innerhalb eines Kreises. Und zwar so.« Schnell zeichnete er neben das Symbol der strahlenbekränzten Sonne ein Christusmonogramm.
»Ja und?«, fragte der ehemalige Prior überrascht.
»In Giovanni da San Gimignanos Hand gehen die Enden der Buchstaben chi rho über den Kreis hinaus, genau wie die Arme des Kreuzes in Eurer Zeichnung.«
»Pater Giovanni hat sich diese Buchstaben ins eigene Fleisch geritzt, während er im Sterben lag. Ich glaube kaum, dass er in dieser Verfassung einen so kühlen Kopf hatte, dass er eine perfekte Abbildung anfertigen konnte.«
Mondino war anderer Meinung. »Ganz im Gegenteil. Ihr habt mir doch soeben bestätigt, dass die anderen Wunden, die die Noten bezeichnen, alle am richtigen Platz sind. Außerdem sprechen wir von einem Mönch. Als solcher hätte er bestimmt im Angesicht des Todes nicht ewige Verdammnis auf sich laden wollen, indem er sich aus Versehen ein heidnisches Symbol in die Hand einritzte.«
»Ich verstehe nicht, worauf Ihr hinauswollt«, sagte Pater Cherubino. Auf seiner Stirn war eine waagerechte Falte erschienen, und er sah den Arzt ernst und eindringlich an.
»Ich glaube, dass er demjenigen, der seine Leiche finden würde, kein Rätsel hinterlassen wollte, sondern eine eindeutige Botschaft. Daher hat er die beiden Symbole zusammengeführt.«
»Und was soll es bedeuten?«
»Vielleicht, dass sein Mörder aus Rom kam«, sagte Mondino. »Oder dass er irgendwie mit dieser Stadt verbunden ist.« Er sprach nicht alles aus, was er dachte, denn einen Teil davon hätte Pater Cherubino Cornari schwerlich ertragen. »Dann müssen wir immer noch begreifen, aus welchem Grund er seine Hand in eine › manus guidonis ‹ verwandelt hat. Vielleicht wollte er auf den Zusammenhang zwischen seinem Tod und dem merkwürdigen Gesang hinweisen, den die Wachen wie auch Azzone Lambertis Gemahlin und seine Magd vernommen haben.«
»Vielleicht wollte er auch sagen, dass sein Mörder ein Sänger ist«, sagte Pater Cherubino. Mondino sah ihn nur schweigend an, und der Mönch fuhr fort: »Ich weiß, was Euch durch den Kopf geht, selbst wenn Ihr es nicht ausgesprochen habt. Ihr glaubt, das mit dem Symbol des sol invictus vereinte chrismon deutet auf einen Geistlichen hin, der sich von der christlichen Religion abgewandt hat und zu dieser heidnischen übergetreten ist.«
»Ich habe nicht gewagt, Euch eine solche These zu unterbreiten«, gestand Mondino. »Ich wollte Euren Seelenfrieden nicht erschüttern.«
»Seid Ihr denn erschüttert, wenn Ihr vor einer Eurer sezierten Leichen steht?«
»Nein, aber ich bin ja auch daran gewöhnt. Viele meiner Studenten müssen sich beim ersten Mal übergeben.«
»Ein Priester ist
Weitere Kostenlose Bücher