Die Bruderschaft des Feuers
von Giovanni da San Gimignano eine versteckte Botschaft enthielten, war er der Richtige, um sie zu entdecken.
Sobald er die Piazza di Porta Ravegnana erreichte, bog er in die kleine Straße zwischen der großen Metzgerei der Zunft der Fleischer und der Fischhalle der Asinelli ein und nahm dann verschiedene Gässchen und Abkürzungen, bis er hinter San Pietro auf der Seite der porta dei dottori herauskam, die allein den Absolventen eines Jurastudiums vorbehalten war. Andolfo und Odofredo würden dagegen aus der Basilika San Francesco treten, wo die Feier zur Verleihung der Doktorwürde für die Studenten der medizinischen Fakultät und der Freien Künste abgehalten wurde.
Mondino nahm sich erneut fest vor, auf keinen Fall die Zeremonie am nächsten Tag zu verpassen, dann schritt er zwischen den gewundenen Säulen hindurch, die von zwei Löwen aus rotem Marmor gestützt wurden, und betrat die Kirche durch das Hauptportal. Zum ehemaligen Prior gelangte man schneller durch die Kirche, als wenn man an der Klosterpforte vorstellig wurde.
Er durchquerte das Hauptschiff und erklärte dem ersten Mönch, dem er begegnete, er wäre der Neffe von Liuzzo de’ Liuzzi, dem Leibarzt von Pater Cherubino Cornari.
»Ich muss Pater Cherubino sprechen«, erklärte er gleich darauf. »Selbstverständlich nur, sofern er nicht anderweitig beschäftigt ist.«
Der Ordensbruder führte ihn durch eine innere Tür zu den Unterkünften der Mönche, und kurz darauf stand Mondino dem Geistlichen gegenüber. Pater Cherubino hatte zwar keine Aufgaben mehr, aber in Anbetracht seines früheren Amtes und seines fortgeschrittenen Alters genoss er das Privileg, über eine geräumige persönliche Zelle zu verfügen. Diese war trocken und wurde von einem Feuer auf einer schlichten, hitzebeständigen Steinplatte geheizt, auf der eine mit Wacholderholz aromatisierte Glut brannte. Es gab weder Rauchfang noch Abzugsöffnung in der Decke, und so sorgte ein geöffnetes Fenster für den Luftaustausch. Der alte, spindeldürre Priester war in eine Kutte gehüllt, die ihm zu groß war, und schien durch die kühle Morgenluft aufzuleben.
»Magister, welch Freude, Euch zu sehen«, sagte er, als er Mondino einließ. Seine Wangen waren eingefallen, die Haare kurz und weiß, und er hatte eine spitze Nase. »Ist Euer Onkel noch nicht zurück?«
»Noch nicht, Vater. Ich glaube, er wird Weihnachten bei den Verwandten in der Toskana verbringen und erst zu Beginn des neuen Jahres wiederkehren.«
»Und in Liuzzos Abwesenheit habt Ihr bei all Euren Verpflichtungen an der Universität noch die Mühe auf Euch genommen, mich armen alten Mann hier aufzusuchen. Ich danke Euch vielmals für diese Fürsorge.«
»Dankt mir nicht zu früh«, erwiderte Mondino. »Ich bin nicht nur gekommen, um nach Eurer Gesundheit zu sehen, sondern auch, um einige Auskünfte von Euch zu erbitten.«
Der Mönch richtete seine grauen Augen auf ihn, die trotz seines Alters wach und aufmerksam dreinblickten. »Wie anders seid Ihr doch als Euer Onkel«, sagte er.
»Wie meint Ihr das, Vater?«
»Liuzzo hätte mich zunächst untersucht, mir eine Diät und Arzneien verschrieben, und erst ganz am Ende hätte er mich nach dem gefragt, was er eigentlich wissen wollte, ganz so, als ob es sich um eine Nebensächlichkeit handelte.«
Mondino lächelte. Liuzzo verfügte über ein ausgeprägtes Gespür für die Feinheiten im gesellschaftlichen Umgang, das ihm vollständig abging. »Ich sehe, Ihr kennt ihn gut.«
»Von Kindesbeinen an. Aber kommen wir nun zu uns. Was wolltet Ihr mich fragen?«
»Lasst uns bitte nach der Untersuchung darüber reden. Selbst wenn ich mich über die Konventionen hinweggesetzt habe, hat doch die Gesundheit den Vorrang.«
»Wie Ihr wollt.«
Mondino überprüfte den Atem des ehemaligen Priors, indem er ein Ohr an dessen Rücken legte, fühlte seinen Puls, fragte ihn nach Farbe und Beschaffenheit des Morgenurins und bat darum, er möge am nächsten Tag eine Probe davon in ein Gefäß abgeben und es ihm zu einer Untersuchung de visu , also einer Sichtprüfung, nach Hause bringen lassen.
Dann ermahnte er Pater Cherubino, er möge sich oft das Gesicht abreiben und sich dabei dem Feuer zuwenden, um die Melancholie zu bekämpfen, zu der sein Organismus wegen des fortgeschrittenen Alters neigte, wie es häufig Menschen von cholerischem Temperament geschah. Schließlich erkundigte er sich noch, welche Diät ihm Liuzzo empfohlen hatte, bestätigte diese natürlich in sämtlichen
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