Die Bruderschaft des Feuers
auf das konzentrierte, was ihm durch den Kopf ging.
Ja, so musste es gewesen sein. Das Feuer war mit äußerster Hitze im Inneren des Körpers aufgelodert, während nur wenige Ausläufer der Flammen die oberen Zellschichten erreicht hatten und nicht einmal kräftig genug gewesen waren, um das Feuer auf das steife Leder des Stuhls zu übertragen.
Richtig, dachte er mit einem schnellen Blick auf den Lehnstuhl, Lambertis Füße waren unversehrt geblieben, weil sie am weitesten von dem Hauptbrandherd entfernt waren. Der Kopf dagegen war angesengt, weil Flammen naturgemäß nach oben streben, allerdings war er nicht vollständig verbrannt.
Das erklärte zwar nicht, wie ein menschlicher Körper von innen heraus Feuer fangen konnte, aber es war immerhin ein Anfang. Der Panzer, der dieses Geheimnis umgab, hatte einen Riss bekommen, und wenn er sich weiter hartnäckig damit beschäftigte, fand er vielleicht eine vollkommen rationale Erklärung für …
Nein.
Mondino wies diesen Gedanken von sich und blieb schlagartig stehen, als wäre er gegen eine Mauer gerannt. Das war nicht seine Aufgabe. Man hatte ihn mit einer medizinischen Untersuchung beauftragt, welche er entsprechend seiner Möglichkeiten ausführen und sich dann um diese Angelegenheit nicht weiter kümmern würde.
Das Versprechen, das er Liuzzo gegeben hatte, hatte er auch sich selbst gegeben: Er würde nie mehr aus wissenschaftlicher Neugier sein Leben und die Zukunft seiner Familie in Gefahr bringen.
Wieder ernüchtert wandte er sich dem abgeschlossenen Wandschrank zu, in dem er seine Instrumente aufbewahrte, doch statt seiner sah er nur ein Loch in der Wand, so groß, dass zwei Männer nebeneinander hindurchgepasst hätten.
Er lächelte über die Macht der Gewohnheit. Der Schrank war ja fortgeräumt worden, weil diese Wand eingerissen werden sollte, um Platz für einen weiten Türbogen zu schaffen, aber seine Augen suchten weiterhin an der üblichen Stelle nach ihm.
Er ging also zum Instrumentenschrank, schloss ihn auf und nahm ein kleines Chirurgenmesser mit gedrungener Klinge und eine besonders geformte Glaslinse heraus, die Gegenstände vergrößern konnte. Er hatte sie von einem Augustinermönch erhalten und bislang noch nie benutzt.
Vor allen Dingen musste er den endgültigen Beweis für die Identität des Toten finden. Eleonora hatte ihm gesagt, dass Bertrando ein ovales Muttermal am rechten Handgelenk hatte. Die Haut des Arms war zu einem Haufen geschwärzten Gewebes zusammengeschrumpft, aber Muttermale betrafen normalerweise nicht bloß die obersten Hautschichten. Mondino schnitt vorsichtig in das harte, verbrannte Fleisch über dem rechten Handgelenk, hob einen Hautlappen hoch und gestattete sich ein leichtes Lächeln. Das Muttermal war da, ein brauner Fleck, der tief reichte. Jetzt konnte er eindeutig bestätigen, dass der Tote wirklich Bertrando Lamberti war. Zumindest dieser Teil der Untersuchung hatte sich als einfach erwiesen.
Während Mondino über eine Untersuchungsmethode nachsann, mit der er erklären konnte, wie dieser Körper hatte Feuer fangen können, begann er, dessen Überreste mit der Lupe von oben bis unten zu betrachten.
Er untersuchte die Wirbel, die am Leder des Stuhles festgebrannt waren. Die Wirbelsäule wirkte wie in Stein gehauen. Die Bandscheiben waren zu einer hauchdünnen, harten Schicht zusammengeschrumpft, und die Wirbel hatten den gelblichen Farbton von altem Marmor angenommen.
Auf Höhe des Beckens waren die Knorpel verschwunden und die Hüftknochen unter einem Häuflein Asche halb verborgen. Beinahe alles war verbrannt: Herz, Rippen, Leber, Milz, Magen und ein Auge. Bertrandos Schädel war mit weit aufgerissenem Mund und gebleckten Zähnen den Bänken des Hörsaals zugewandt.
Die angespannten Gesichtsmuskeln, wie halb in einem Schrei erstarrt, zeugten davon, dass der Mann nicht zuerst getötet und dann den Flammen übergeben worden war, sondern dass er bei lebendigem Leib verbrannt war.
Mondino schauderte. Dieser Mensch musste unvorstellbare Schmerzen gelitten haben. Er musste sich zusammenreißen, um die für die weitere Untersuchung notwendige Nüchternheit wiederzuerlangen.
Er kniete sich hin, um die Füße zu untersuchen, die kalt und bleich waren und so unversehrt aussahen wie die eines Menschen, der in seinem Bett gestorben war. Mondino wanderte mit der Linse die Schienbeine und Unterschenkel hinauf, wo die Beine unvermittelt in zwei verkohlten Fleischstücken endeten, die mit dem Leder des Stuhls
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