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Die Bruderschaft des Feuers

Die Bruderschaft des Feuers

Titel: Die Bruderschaft des Feuers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfredo Colitto
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verschmolzen waren. Oberhalb der Knie war nichts mehr übrig.
    Mondino stand auf. Es war sinnlos fortzufahren. Selbst wenn er die Leiche bis zum Abend untersuchte, würde er trotzdem nicht ergründen können, ob es sich um Mord oder um ein übernatürliches Ereignis handelte. Die Laute in der Nacht und die Kerze aus reinem Bienenwachs, die man in Bertrandos Kamin gefunden hatte, schienen in gewisser Weise für die zweite Theorie zu sprechen, dennoch ergaben sie keinen sicheren Beweis.
    Doch das festzustellen war ohnehin Aufgabe der Justiz. Der Podestà und der Capitano del Popolo hatten geschickt versucht, diese Verantwortung auf ihn abzuwälzen, doch er würde sie nicht übernehmen.
    Für den Podestà würde er irgendeine Ausrede erfinden, die er mit Zitaten von Galen, Avicenna und Averroës spicken würde. Er würde nicht sagen, dass er keine Erklärung hatte finden können, sondern dass die Wissenschaft dazu nicht imstande war. So würde sein Ruf keinen Schaden nehmen.
    Mondino schmerzte allerdings der Gedanke, dass er Eleonora enttäuschen musste. Er sah wieder ihre eindringlichen grünen Augen vor sich und darin die Überzeugung, dass nur er und kein anderer den Tod ihres Schwiegervaters aufklären könne.
    Der Gedanke an Eleonora bewegte ihn, sich wieder über die Überreste des gepeinigten Körpers zu beugen, doch da klopfte es an der Tür. Für einen Studenten war es zu früh, die Glocke von Sant’Antonino hatte noch nicht zur Terz geläutet. Mondino überlegte einen Moment lang, ob er gar nicht öffnen sollte. Doch dann fiel ihm ein, dass es der Capitano del Popolo sein konnte, der wissen wollte, wie weit er gediehen war. Er steckte die Lupe in eine Tasche seines roten Talars, und während er zur Tür ging, fragte er, wer dort sei.
    »Magister, ich bin’s«, antwortete eine wohlbekannte Stimme.
    Mondino öffnete, und einen Augenblick lang fühlte er sich in die Vergangenheit zurückversetzt, in jene Nacht im April, als dieser junge Mann an seine Tür geklopft hatte, einen Leichnam mit abgehackten Händen im Arm, dessen Herz in einen Eisenblock verwandelt worden war. Damit hatte er ihn in den schlimmsten Albtraum seines Lebens hineingezogen. Aber jetzt lächelte Gerardo da Castelbretone, in seinen hellblauen Augen lag kein wahnsinniges Funkeln, und die schwarzen Haare, die ihm bis zu den Ohren reichten, waren ordentlich gekämmt. Das knielange Gewand aus brauner Wolle und die schwarzen besohlten Beinlinge, die er trug, waren untadelig sauber, diesmal war kein Blutfleck darauf zu sehen.
    »Gerardo. Es ist seltsam, dass du mich ausgerechnet heute und zu dieser Stunde besuchst«, sagte Mondino und drückte durch Tonfall und Haltung aus, was in klaren Worten ausgesprochen eine deutliche Beleidigung gewesen wäre: nämlich dass sein Erscheinen zu diesem Zeitpunkt ihm kein gutes Vorzeichen zu sein schien.
    »Wollt Ihr mich nicht hereinbitten, Magister?«, fragte Gerardo, und Mondino trat zurück, um ihn vorbeizulassen. Erst jetzt bemerkte er, dass Gerardo weder Umhang noch Cotte trug.
    »Ist dir nicht kalt?«, fragte er.
    »Nicht sehr.« Der junge Mann ging ein kurzes Stück über den mit Stroh bedeckten Boden, doch er blieb gleich wieder stehen und stützte sich auf einer der Bänke in der ersten Reihe auf. »Dann stimmt es also, was ich gehört habe«, sagte er halblaut und starrte den Stuhl mit Bertrandos Leiche an. »Ich habe geglaubt, die Erzählungen der Leute wären übertrieben.«
    »Erzählungen?«, fragte Mondino, während er die Tür schloss. »Willst du damit sagen, dass man in der Stadt über diese Sache spricht?«
    »Beliebt Ihr zu scherzen, Magister? Seit gestern redet man über nichts anderes. Habt Ihr etwa geglaubt, ein Zug Leute, angeführt von dem Podestà höchstpersönlich, der in seiner Mitte einen großen, von einem leinenen Leichentuch bedeckten Lehnstuhl mit sich führt, würde unbemerkt bleiben?«
    »Was erzählt man sich noch?«, fragte Mondino besorgt.
    »Dass sich unter dem Tuch ein grauenhafter Anblick verberge, welcher jedem, der einen Blick darauf wagte, für immer den Schlaf zu rauben vermöge«, erwiderte Gerardo. »Abgesehen von der Tatsache, dass das, was auf dem Seziertisch liegt, für mich wie ein gewöhnliches Bettlaken und nicht wie ein Leichentuch aussieht, muss ich doch zugeben, dass die Fantasie des Volkes diesmal von der Wirklichkeit sogar noch übertroffen wird.«
    »Diese Wirklichkeit«, sagte Mondino leise, »hätte ich am liebsten nie gesehen.«
    »Habt Ihr denn

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