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Die Bruderschaft des Schmerzes

Die Bruderschaft des Schmerzes

Titel: Die Bruderschaft des Schmerzes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norman Spinrad
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machen. Bei den alten Römern hat man den Löwen die Christen zum Fraß vorgeworfen!
    O ja, alles wird dem gewährt werden, der sitzenbleiben und abwarten kann. Willem und Moro gebärden sich wie byzantinische Ränkeschmiede. Das erspart mir eine Menge Arbeit. Alles, was ich tun muß, sind ein paar kleine, feine Zutaten zu dieser trüben Brühe zu liefern, und wenn der Schmerzenstag vorüber ist, dann werden sich Moro und Vanderling zu Tode intrigiert haben.
    Er lachte lauf auf. Wer solche Feinde hat, dachte er, der braucht wirklich keine Freunde …
     
    Der tiefrote Sonnenuntergang von Sangre legte sich wie eine zähe Flüssigkeit über die schäbigen Hütten und die engen, schmierigen Gassen von Sade. Dunkles, venöses Blut schien durch die Straßen zu fließen, in denen es burgunderfarben aufleuchtete, während sich gleichzeitig lange, schwarze, bedrohliche Schatten bildeten. Wie Vorboten der Nacht schlichen ein paar zerlumpte Sangraner durch die verlassenen Straßen, eine gespenstisch feige Bedrohung im schwindenden Licht des Tages.
    Bart Fraden fröstelte trotz der unablässigen Hitze. Er hielt nach rechts und links Ausschau, wo je sechs Guerillas gingen, die ihn mit Schnittpistolen bewachten, und verwünschte seine übertriebene Vorstellungsgabe.
    Aber während er hastig durch die unfiatbedeckten Straßen eilte und in die offenen Hüttentüren schaute, aus denen ihn Frauen mit Lemurenaugen, schmallippige Männer und Kinder mit klapperdürren Brustkörben und von Hunger aufgeblähten Bäuchen fast drohend anstarrten, da wußte er, daß die düstere Bedrohlichkeit der Stadt nicht nur eine Augentäuschung durch die seltsame Beleuchtung war. Sade war wie eine schwärende Eiterbeule, die unter dem steigenden Druck zu bersten drohte. Seine Agenten hatten ihm dies berichtet, noch bevor er es mit eigenen Augen sah. Eine Woche lang hatte er sich auf diesen Weg vorbereitet. Er hatte durch die Gerüchteküche verbreiten lassen, daß es am Schmerzenstag zu einer großen Abrechnung kommen würde. Doch er wußte die ganze Zeit, daß dies nicht genügte, wenn aus dem Schmerzenstag ein großer Sieg und kein riesiges Desaster werden sollte. Er mußte selbst in die Stadt gehen und die vagen Gerüchte auf ein Zentrum konzentrieren, er mußte den Zeitpunkt festlegen, an dem die Massenbewegung aufbrechen würde. Damit der richtig eingestimmte Mob genau in einem bestimmten Augenblick an einem bestimmten Ort zuschlagen würde, mußten Hunderte von Sangranern die Botschaft direkt aus seinem Munde hören. Nur so konnte er erreichen, daß die Botschaft, die in der Stadt von Mund zu Mund ging, nicht zur Unkenntlichkeit verstümmelt würde.
    In einer Stadt, die zu einem Dschungel des Verhungerns und des rücksichtslosen Kannibalismus geworden war, gab es nur einen Ort, an dem er eine große Menschenmenge um sich scharen konnte: die öffentliche Speisehalle.
    Es war nicht Furcht, die Fraden bewegte, während er an den Schuppen vorüberging und sein Blick die Abfallhalden und die scheußlichen Knochenhaufen streifte, die sich im Zwielicht blaßrosa färbten. Was gab es schon zu fürchten? Die Sadianer waren zu feige, um bewaffnete Männer anzugreifen, und die Gerüchteküche hatte seinen Mythos auch hier in der Stadt verbreitet. Und Moro, der sich darauf freute, ihm in drei Tagen den Kopf abschlagen zu können, würde sie nicht durch Töterpatrouillen behelligen.
    Und doch lag etwas wie ein Fluch oder eine Verwünschung über der Stadt.
    Der allgegenwärtige Schmutz, der Gestank des Verfalls, die versprengten Menschen, die wie Ratten auf einem Gräberfeld durch die Gassen huschten … Eine Spannung hing über der Stadt, und sie lastete so schwer, daß man sie körperlich spüren konnte … Und dann das entsetzliche Herz des Ganzen, Magen, Eingeweide und Kloake von Sade: die öffentliche Speisehalle!
    Sie waren auf der Straße angekommen, in der das riesige, fensterlose Gebäude breit und dunkel im Zwielicht stand, und Fraden spürte, wie sich sein Magen verkrampfte, als die zahllosen schrillen Stimmen wie Fischweib-Gezänk an sein Ohr drangen. Mit dem Stimmengewirr vermischten sich das Reißen der Knochensägen und der dumpfe Klang der Beile auf Fleisch und Holz. Seine Nerven spannten sich wie Klaviersaiten, als er die Gestalten erblickte, die hinter dem Eingang umherhuschten. Als der faulige Gestank über die Straße zu ihm heranwehte, dachte er einen wahnsinnigen Moment lang daran, alles aufzugeben. Überall wollte er hingehen, nur nicht

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