Die Brücke der Gezeiten 1: Ein Sturm zieht auf (German Edition)
sagen, sobald wir Hebusal erreichen.«
Kazim explodierte. »Du sagst ihn mir, und zwar sofort!«
»In Hebusal«, wiederholte Jamil unbeeindruckt. »Und keinen Tag früher. Dieser Punkt der Abmachung ist nicht verhandelbar. Das ist mein letztes Wort.« Stumm und mit undurchdringlicher Miene stand er da.
Kazim knurrte vor Wut. Sein Blick wanderte zu Haroun, der zögerlich nickte. »Gut«, sagte er mit einem Seufzen. »Für den Moment kannst du uns führen.«
Jamil verneigte sich spöttisch, und alle starrten ihn an in der Erwartung erster Instruktionen.
»Nun, Hauptmann, in welche Richtung sollen wir uns wenden?«, fragte Haroun.
Jamil lächelte. »Im Moment: in gar keine. Ihr habt noch viel zu lernen, bevor ihr in der Wüste überleben könnt.«
Sie blieben noch zwei volle Tage in dem Tal. Jamil zeigte ihnen, wie sie aus Seilen Zaumzeug knüpfen konnten, und ließ sie die Pferde daran herumführen. Die Hufe umwickelten sie mit Stoff, um das Geklapper zu dämpfen. Jamil sah alles, selbst das kleinste Detail wie eine schief sitzende Satteldecke oder einen nicht vollständig umwickelten Huf. Jai und Haroun hatten nackte Angst vor ihm, doch bei Kazim war es eher Unbehagen. Das ungelöste Geheimnis um die Identität von Ramitas Entführer zehrte an seinen Nerven.
Das Mädchen schlief die meiste Zeit über. Jedes Mal, wenn jemand anders als Jai in ihre Nähe kam, zuckte sie sofort zusammen. Nur Jai konnte sie dazu bringen, etwas zu essen oder zu trinken. Die Nächte verbrachte sie eng an ihn gekuschelt, was Jai sichtlich unangenehm war.
»Wieso durfte so etwas geschehen?«, fragte Haroun ihren neuen Führer in der zweiten Nacht. »Von Kindesbeinen an habe ich die Geschichten von den großen Fehden gehört, von den riesigen Armeen, zusammengerufen von der Liebe zu Gott, entsandt, um unser Land von den Ungläubigen zu säubern. Doch was ich jetzt mit eigenen Augen gesehen habe, war schauderhaft«, sagte er desillusioniert. »Ich kann beinahe hören, wie die Ferang uns auslachen.«
Jamil hatte keine Worte des Trostes für ihn. »Du kannst es auf den Mogul von Lakh schieben, wenn du willst, oder auf Salim, den Sultan von Kesh. Oder auch auf die Glaubensfanatiker, die sogar zu blöd sind, ihren Schwanz in einem Puff ins richtige Loch zu stecken.« Er spuckte aus. »Die Große Zusammenkunft hat die Blutfehde ausgerufen, und Salim weigert sich standhaft, die Armeen des Moguls nach Kesh zu lassen. Nicht ganz ohne Grund, denn während des zweiten Kriegszugs haben seine Soldaten halb Kesh geplündert. Kesh und Lakh lagen öfter miteinander im Krieg, als sie gegen die Weißhäuter gekämpft haben, und der Hass sitzt tief. Ich selbst habe mehr Lakh getötet als Rondelmarer während der letzten beiden Kriegszüge zusammengenommen.«
Kazim fragte sich, wie alt der Hauptmann war. Er musste mindestens vierzig sein, wenn er schon zwei Kriegszüge erlebt hatte, sah aber jünger aus.
»Salims Soldaten haben alle Straßen geschlossen«, sprach Jamil weiter, »der Mogul spielt beleidigt, und die Gottessprecher in Lakh rufen die Gläubigen zu den Waffen, weil sie auch mitreden wollen. Einfache Bürger wie ihr, nicht ausgebildet und schlecht ausgerüstet mit viel zu wenig Wasser und Proviant. Und weil Salim die besten Straßen im Osten abgeriegelt hält, kommt irgendein Narr auf die Idee, euch mitten durch die große Keshwüste zu schicken, direkt unter den Augen der Ingashiri! Unglaublich! Unbewaffnet schickt man euch los, damit ihr unterwegs nicht meutert. Jede Kolonne wird auf wenige Tausend Mann begrenzt, damit sie euch überhaupt irgendwie durchfüttern können. Gleichzeitig seid ihr damit zu wenige, um euch gegen die Ingashiri zu verteidigen, die euch Mann für Mann abschlachten. Wusstet ihr, dass ihr bereits die dritte Kolonne seid, die diesen Winter aufgebrochen ist? Soweit ich weiß, hat bisher noch keine die Durchquerung geschafft, und die Ingashiri lachen wie die Schakale.«
Haroun hatte in der Zwischenzeit den Kopf zwischen seinen Knie vergraben. Jetzt blickte er auf. »Aus deinem Mund klingt alles so hoffnungslos.«
»Es ist hoffnungslos.« Jamil zuckte mit den Schultern. »Solange Mogul Tariq nicht aufhört zu schmollen und zu einer Einigung mit Salim kommt, wird sich daran auch nichts ändern. Die Kolonnen kommen hier ohne jeglichen Proviant an, und man schickt sie aufs Geratewohl in die Wüste, wo es kein Wasser gibt und, wie inzwischen sogar ihr mitbekommen habt, auch nichts wächst. Der Mogul ist gerade mal
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