Die Brücke der Gezeiten 1: Ein Sturm zieht auf (German Edition)
zweiten brachte er ein paar Daten durcheinander, aber nichts Schlimmes.
Als es vorbei war, war er fast ein wenig enttäuscht, aber der leise Applaus, mit dem sein Vortrag bedacht wurde, hob seine Stimmung gleich wieder. Er hatte es geschafft. Als Alaron das Zimmer verließ, saß Ramon im Warteraum. Er zitterte wie Espenlaub. Alaron blieb nicht mehr Zeit, als kurz den Daumen zu heben. »Buonfortuna, Ramon!«
Er hatte das Gefühl, auf einem guten Weg zu sein.
Am Tydag war Infinitesimalrechnung dran. Ein Albtraum. Den ganzen Tag mussten sie Formeln entwickeln und Gleichungen lösen. Malevorns Selbstvertrauen war wie immer unerschütterlich, aber alle anderen waren nervös, selbst Dorobon. Alaron glaubte, sich einigermaßen wacker geschlagen zu haben, mehr aber auch nicht. Seth Korion ging erst einmal kotzen, nachdem er fertig war – was sich auch an jedem weiteren Prüfungstag wiederholen sollte. Zuerst fand Alaron es eklig, dann lustig, und schließlich tat ihm der Generalssohn sogar leid.
Wotendag wurde Rondelmarisch geprüft, eine willkommene Erleichterung. Ist immerhin meine Muttersprache, aber der arme Ramon! Die Prüfung bestand hauptsächlich aus Gedichtrezitationen und Inhaltsangaben der traditionellen Sagen. Alarons Meinung nach reine Zeitverschwendung. Und die Prüfer haben’s wahrscheinlich gemerkt , dachte er, als er aus dem Prüfungsraum schlurfte.
Torsdag war Theologie dran. Alaron krümmte und wand sich unter den kritischen Blicken der Prüfer, und als er fertig war, hasste er Fyrell mehr denn je. Mit allen Mitteln hatte der Kerl versucht, ihn als Ketzer zu entlarven. Als hätte er am liebsten gleich an Ort und Stelle einen Scheiterhaufen für ihn errichten lassen. Es war der schlimmste Tag bis dahin, aber Alaron verbannte ihn schnell aus seinen Gedanken. Morgen war Freyadag, der Tag, an dem er seine Abschlussarbeit präsentieren würde – der Tag, der über ihre Zukunft entscheiden würde, wie die Magister ihnen immer wieder eingeschärft hatten.
Das Auditorium war voll, Gesichter überall: Gouverneur Belonius Vult, der ein weiteres Mal die Absolventen inspizierte. Jeris Muhren, Held der Noros-Revolte und jetzt Hauptmann der Stadtwache von Norostein. Vertreter aller Waffengattungen, Abgesandte der Legion, Windschiff-Kommandanten und sogar Rekruteure der Volsai und Kirkegar waren da. Ein ganzer Haufen Kirchenangehöriger schwirrte um einen erschöpft aussehenden Crozier herum, hier und da sah man Grüppchen grau gewandeter Gelehrter von den Arkana. Alle wirkten gelangweilt. Alaron war immerhin schon der sechste Prüfling heute. Er schluckte nervös. Nicht ans Publikum denken. Heute wird’s auch nicht schwieriger als an den anderen Tagen. Du schaffst das …
Mit gerunzelter Stirn blickte Gavius auf. »Der Name des Prüflings ist Alaron Merser«, verkündete er und verlas Alarons Stammbaum für die, die neu dazugekommen waren. Dann wandte er sich an Alaron. »Fang an, Meister Merser. Du hast eine halbe Stunde für deine Präsentation, die zweite halbe Stunde ist für unsere Fragen reserviert. Fang an.«
Alaron verneigte sich und breitete seine Notizen vor sich aus. »Erhabene Magi, der Titel meiner Abschlussarbeit lautet: ›Die verborgenen Gründe der Noros-Revolte‹.«
Das Thema schien auf einiges Interesse zu stoßen. Gut.
Nervös hob er die Hände, um die Wolke funkelnden Lichtstaubs zu verteilen, die er eigens für seinen Vortrag vorbereitet hatte. Eine gnostische Standardtechnik. Allmählich vergaß er seine Unsicherheit und nach einer Weile beinahe auch das Publikum. »In den Geschichtsbüchern steht, die Noros-Revolte sei durch eine extrem hohe Besteuerung, schlechte Ernten und ein umstürzlerisches Militär ausgelöst worden. Ich möchte jedoch zeigen, dass noch ein vierter Grund eine Rolle spielte. Einer mit fundamentalen Auswirkungen. Ich betone: fundamental .«
Er gestattete sich einen kurzen Blick in die Runde. Die Gesichter der Magi waren hoch konzentriert. Er hatte ihre ungeteilte Aufmerksamkeit. Selbst der Gouverneur und der Bischof schienen gespannt zuzuhören. Alaron war überrascht. Keine Spur mehr von der anfänglichen Langeweile.
»Bevor ich zu diesem verborgenen Grund komme, möchte ich ein paar Dinge zu den Ursachen sagen, die an dieser Stelle normalerweise angeführt werden. Es stimmt zwar, dass die Steuern stiegen, aber wie wir hier sehen« – die leuchtende Wolke zeigte eine Kurve mit der Entwicklung der Steuerlast, eine Technik, die sie an der Schule »Graphen«
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