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Die Brücke

Die Brücke

Titel: Die Brücke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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Die Glocke läutet
wieder, zweimal, und mir geht auf, daß es die Tür ist.
»Mr. Orr? John?«
    Ich stehe vom Bett auf und streiche mir das Haar glatt. Abberlaine
Arrol steht im Eingang. Sie trägt einen langen dunklen Mantel
und grinst wie ein schalkhaftes Schulmädchen. »Abberlaine,
hallo, kommen Sie herein.«
    »Wie geht es Ihnen, John?« Sie fegt herein, sieht sich
in dem erleuchteten Raum um, wendet sich wieder mir zu, hebt den
Kopf. »Kommen Sie hier zurecht?«
    »Ja, danke. Darf ich Ihnen einen Ihrer eigenen Sessel
anbieten?« Ich schließe die Tür.
    »Sie dürfen mir einen von unseren Weinen zu trinken
anbieten«, lacht sie. Sie dreht sich einmal auf einer
Fußspitze um sich selbst, daß der Mantel sich zur Glocke
bauscht. Ein berauschender Duft nach einem Moschusparfum zieht an mir
vorbei. Ihre Augen funkeln. »Da drüben.« Sie zeigt auf
eine Truhe, halb bedeckt von einem weißen Laken. »Ich hole
Gläser.« Sie geht zur Küche.
    »Das war ein ziemlich plötzliches Verschwinden gestern
abend.« Ich öffne die Truhe. Sie enthält Regale mit
Wein und Spirituosen. Aus der Küche kommt das Klingeln von
Gläsern.
    »Was war?« Sie kommt mit zwei Gläsern und einem
Korkenzieher zurück.
    Ich wähle unter den Weinen einen nicht zu alt und zu kostbar
wirkenden aus. »Ich habe mich in der Wohnung umgesehen, und als
ich in diesen Raum zurückkam, waren Sie fort.« Sie reicht
mir den Korkenzieher, sieht mich verwirrt an.
    »War ich das?« meint sie vage. Sie zieht die Stirn
kraus. »Ach du meine Güte!« Sie lächelt, zuckt
die Achseln, läßt sich auf eine mit einem Laken bedeckte
Couch fallen. Sie hat immer noch den Mantel an, aber ich kann Beine
in schwarzen Strümpfen, hohe schwarze Absätze und einen
Hauch von Rot am Hals und am Mantelsaum sehen. »Ich war auf
einer Party«, erklärt sie.
    »Ach ja?« Ich öffne die Flasche.
    »Hmm. Möchten Sie meinen Outfit sehen?«
    »Warum nicht?«
    Sie steht auf, reicht mir die Gläser. Sie knöpft den
langen schwarzen Mantel auf, streift ihn von den Schultern und wirft
ihn über einen Sessel. Sie dreht eine Pirouette.
    Ihr Kleid ist leuchtend rot und eng anliegend. Es geht bis an die
Knie, aber es ist bis oben hinauf zu den Oberschenkeln geschlitzt.
Als sie sich dreht, blitzt weißes Fleisch auf, ein schlankes
Bein zwischen dem dichten Schwarz des Strumpfrandes und einer
schwarzen Spitzenkante darüber. Der hohe Kragen des Kleides
verbirgt beinahe ein dünnes schwarzes Halsband. Die Schultern
sind gepolstert, der Busen… nicht.
    Abberlaine Arrol stemmt die Hände in die Hüften und
sieht mich an. Ihre Arme sind bloß, und durch den dunklen Flaum
darauf wirken sie wie schwarz umrandet. Ihr sorgfältig
geschminktes Gesicht trägt einen belustigten Ausdruck; wir
teilen einen Witz. Plötzlich dreht sie sich um, sucht in einer
Manteltasche, zieht etwas heraus, das ich zuerst für ein zweites
Paar Strümpfe halte. Doch es sind passende Handschuhe. Sie zieht
sie an, und sie reichen beinahe bis zu den Schultern. Sie lacht von
tief unten in ihrer eingeengten Kehle, dreht eine weitere Pirouette.
»Was denken Sie?«
    »Ich nehme an, es war keine konventionelle
Veranstaltung?«
    »Eine Art Kostümfest; das Kleid sitzt zwar eng, aber ich
wollte ein loses Mädchen vorstellen.« Sie lacht und
hält sich dabei die Hand vor den Mund. Mit einein Knicks nimmt
sie ihr Glas entgegen.
    »Sie sehen umwerfend aus, Abberlaine«, versichere ich
ihr ernsthaft (noch ein Knicks). Sie seufzt, fährt sich mit der
Hand durchs Haar, dreht sich um, geht gemessenen Schrittes davon,
klopft gegen einen alten hohen Schrank aus einem dunklen,
kräftig gebeizten Holz, streicht mit den langen, behandschuhten
Fingern darüber hin, trinkt ihren Wein. Ich sehe ihr zu, wie sie
zwischen den verhüllten und unverhüllten Möbeln
umhergeht, Türen öffnet, in Schubladen sieht, die Ecken von
Laken anhebt, mit der Hand über staubige Glasfronten reibt und
die Linien von Intarsien nachzieht und dabei die ganze Zeit summt und
kleine Schlucke aus ihrem Glas nimmt. Ich komme mir vor wie für
den Augenblick vergessen, bin aber nicht beleidigt.
    »Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus, daß ich
hergekommen bin.« Sie pustet Staub von dem Schirm einer
Stehlampe.
    »Natürlich nicht. Es ist schön, Sie zu
sehen.«
    Sie dreht sich um; wieder dieses Lächeln. Dann sieht sie
stirnrunzelnd auf das graue Meer und die Regenwolken hinter den
langen Fenstern hinaus. Sie legt die Hände auf die bloßen
Oberarme, ohne das Glas

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