Die Brücken Der Freiheit: Roman
war, sagte er: »Du bist sehr still.«
Sie suchte nach einer Ausflucht. »Ich wollte dir nicht weh tun.«
Jay akzeptierte das und war wenige Minuten später tief eingeschlafen. Lizzie fand auch jetzt keine Ruhe. Zum zweitenmal war sie von der Einstellung ihres Mannes zu Recht und Gerechtigkeit tief erschüttert, und in beiden Fällen war Lennox mit im Spiel. Jay war nicht böse, dessen war sie sich sicher, aber er ließ sich von anderen zu unlauterem Tun verleiten, vor allem von starken Persönlichkeiten wie diesem Lennox. Sie war froh, daß sie in einem Monat London verlassen würden. Waren die Segel erst einmal gesetzt, würden sie Lennox niemals wiedersehen.
Lizzie konnte nicht schlafen, es ging einfach nicht. Sie hatte ein kaltes, bleiernes Gefühl in der Magengrube. Auf McAsh wartete der Galgen. An jenem Vormittag an der Straßenkreuzung in Tyburn hatte sie bereits die Hinr ichtung von ihr völlig unbekannten Menschen empört. Den Gedanken, daß nun einem Spielkameraden aus Kindertagen das gleiche Schicksal bevorstand, konnte sie nicht ertragen.
Mack ist nicht mein Problem, sagte sie sich. Er ist fortgelaufen, hat gegen das Gesetz verstoßen und war an gewalttätigen Ausschreitungen beteiligt. Er hat alles getan, was er überhaupt nur tun konnte, um in Schwierigkeiten zu geraten. Nein, ich bin nicht für ihn verantwortlich. Ich brauche ihn nicht zu retten. Ich habe Verpflichtungen gegenüber meinem Ehemann.
Das mochte zwar alles seine Richtigkeit haben - doch Lizzie konnte trotzdem nicht einschlafen.
Als sich das erste Morgenlicht an den Rändern der Vorhänge abzeichnete, stand sie auf. Sie wollte mit dem Packen für die bevorstehende Re ise anfangen. Als die Dienstboten erschienen, trug sie ihnen auf, die großen, wasserdichten Seetruhen herbeizuschaffen, und begann ihre Hochzeitsgeschenke einzupacken: Tischtücher, Besteck, Porzellan-und Glasgeschirr, Kochtöpfe und Küchenmesser.
Jay tat alles weh, als er aufwachte, und entsprechend schlecht war seine Laune. Zum Frühstück genehmigte er sich einen Brandy, dann ging er zu seinem Regiment. Kurz nachdem er das Haus verlassen hatte, kam Lizzies Mutter zu Besuch, die noch immer bei den Jamissons lebte. Sie begleitete ihre Tochter ins Schlafzimmer, und gemeinsam begannen sie, Lizzies Strümpfe, Petticoats und Taschentücher zusammenzufalten.
»Mit welchem Schiff werdet ihr reisen?« fragte Mutter.
»Mit der Rosebud. Sie gehört den Jamissons.«
»Und wie kommt ihr zu der Plantage, wenn ihr erst einmal in Virginia seid?«
»Seeschiffe können den Rappahannock River bis hinauf nach Fredericksburg fahren, und von dort sind es nur noch zehn Meilen bis Mockjack Hall.« Lizzie spürte, daß sich ihre Mutter wegen der langen Seereise Sorgen machte. »Keine Angst, Mutter«, sagte sie, »es gibt keine Piraten mehr.«
»Nehmt euch ein eigenes Trinkwasserfaß mit, und behaltet es in eurer Kabine nur für euch allein, nicht für die Mannschaft. Ich werde euch auch eine kleine Truhe mit Arznei zusammenstellen, damit ihr euch kurieren könnt, wenn ihr krank werden solltet.«
»Danke, Mutter!« Verseuchte Nahrungsmittel, schlechtes Trinkwasser und die überfüllten Quartiere an Bord ließen das Risiko einer lebensbedrohlichen Erkrankung in der Tat viel größer erscheinen als das eines Piratenüberfalls.
»Wie lange dauert die Überfahrt?«
»Sechs oder sieben Wochen.« Das war, wie Lizzie wußte, das Minimum. Wurde das Schiff durch widrige Winde vom Kurs abgetrieben, konnten drei Monate vergehen, bis sie ihr Ziel erreichten, und die Gefahr einer Erkrankung würde entsprechend wachsen. Doch wozu sich jetzt schon darüber Gedanken machen? Sie und Jay waren jung, kräftig und kerngesund. Sie würden die Fahrt schon überleben. Lizzie freute sich ungemein auf das bevorstehende Abenteuer.
Sie konnte es kaum erwarten, Amerika kennenzulernen einen neuen Erdteil, wo alles anders war: die Vögel, die Bäume, das Essen, die Luft, die Menschen. Jedesmal, wenn sie daran dachte, spürte sie ein erwartungsvolles Prickeln.
Sie lebten seit vier Monaten in London, und von Tag zu Tag gefiel es ihr weniger hier. Die feine höfliche Gesellschaft langweilte sie bis auf die Knochen. Oft speisten sie mit anderen Offizieren und deren Ehefrauen zu Abend, doch die Offiziere redeten nur übers Kartenspiel und inkompetente Generäle, und die Frauen interessierten sich nur für neue Hüte und das Hauspersonal. Das übliche Herumgerede war Lizzies Sache nicht, und wenn sie offen ihre
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