Die Brücken Der Freiheit: Roman
der jüngere Sohn.«
»Aha! Und Robert hat Sie aus dem Nest geworfen - so, wie seine Mutter einst mich.«
Trotz des unbotmäßigen Untertons war Jays Neugier geweckt. Ihm fiel wieder ein, was der betrunkene Peter McKay auf der Hochzeitsfeier von sich gegeben hatte. »Mir kam gerüchteweise zu Ohren, daß Olivia das Testament gefälscht haben soll.«
»Hat sie auch. Und außerdem hat sie Onkel William umgebracht.«
»Was?«
»Gar keine Frage. William war ja gar nicht krank. Er war ein Hypochonder, der sich gerne irgendwelche Krankheiten
einbildete. Hätte eigentlich uralt werden können. Doch dann nistete sich Olivia bei ihm ein. Sechs Wochen später hatte er sein Testament geändert und war tot. Ein böses Weib.«
»Ha!« Eine merkwürdige Befriedigung überkam Jay. Die heilige Olivia, deren Porträt auf dem Ehrenplatz in der Halle von Schloß Jamisson hing, war eine Mörderin, die eigentlich an den Galgen gehört hätte! Der ehrfürchtige Tonfall, der jede Erwähnung von ihr begleitet hatte, war Jay seit jeher auf die Nerven gegangen. Daß sie in Wirklichkeit eine Verbrecherin gewesen war, erfüllte ihn nun mit diebischer Freude. »Haben Sie denn tatsächlich überhaupt nichts geerbt?« fragte er Drome.
»Nicht einen Morgen Land, gar nichts! Als ich hier eintraf, besaß ich gerade mal sechs Paar Strümpfe aus Shetlandwolle. Heute bin ich der größte Kurzwarenhändler in ganz Virginia. Ich habe allerdings nie wieder mit Zuhause Verbindung aufgenommen, denn ich fürchtete, Olivia würde Mittel und Wege finden, sich auch all das, was ich mir hier erarbeitet habe, noch unter den Nagel zu reißen.«
»Aber wie hätte sie das tun können?«
»Weiß ich nicht. Vielleicht war's nur Aberglaube. Freut mich zu hören, daß sie tot ist. Ihr Sohn scheint ihr allerdings nachzuschlagen.«
»Ich dachte immer, er käme meinem Vater nach. Doch egal, wem - seine Habgier ist jedenfalls unersättlich.«
»Ich an Ihrer Stelle würde ihm meine Adresse nicht verraten.«
»Er wird das gesamte Wirtschaftsimperium meines Vaters erben. Ich kann mir nicht vorstellen, daß er da auch noch meine kleine Plantage haben will.«
»Da wär' ich mir nicht so sicher«, gab Drome zurück. Aber Jay nahm die Warnung nicht ernst. Der Mann neigt dazu, die Dinge zu dramatisieren, dachte er.
Erst gegen Ende des Empfangs - die ersten Gäste verabschiedeten sich bereits und verließen den Palast durch die Tür, die in den Garten hinausführte - drang Jay zu Gouverneur Botetourt vor. Er nahm ihn beim Ärmel und sagte mit gesenkter Stimme: »Ich möchte Ihnen versichern, daß ich absolut loyal zu Ihnen und der Krone stehe.«
»Prachtvoll, prachtvoll«, sagte Botetourt mit lauter Stimme. »Das ist sehr nett von Ihnen.«
»Ich bin erst kürzlich hier eingetroffen. Ich muß schon sagen, daß ich die politische Einstellung der führenden Männer in dieser Kolonie empörend fand, und daran hat sich bis heute nichts geändert. Wann immer Sie bereit sind, den Verrätern den Garaus zu machen und die illoyale Opposition zu zerschlagen ich stehe auf Ihrer Seite.«
Botetourt, der ihn nun endlich ernst nahm, bedachte Jay mit einem strengen Blick, und Jay erkannte, daß sich hinter dem jovialen Äußeren ein mit allen Wassern gewaschener Politiker verbarg. »Sehr freundlich«, sagte der Gouverneur, »aber hoffen wir, daß es solch rigoroser Methoden gar nicht erst bedarf. Ich halte mehr von Verhandlungen und Überzeugungsarbeit - die Ergebnisse sind dauerhafter, nicht wahr? - Major Wilkinson, auf Wiedersehen! Mrs. Wilkinson - wie nett von Ihnen, daß Sie gekommen sind.«
Überzeugen und Verhandeln, dachte Jay, während er in den Garten hinaus ging. Botetourt ist in ein Vipernnest geraten und will mit dem giftigen Gezücht verhandeln! Zu Delahaye sagte er: »Ich frage mich, wie lange er braucht, bis er begriffen hat, was hierzulande vorgeht.«
»Ich glaube, das hat er schon«, gab Delahaye zurück. »Er hält bloß nichts davon, die Zähne zu zeigen, bevor er zubeißt.«
Und richtig: Schon tags darauf löste der liebenswürdige neue Gouverneur die Generalversammlung auf.
Matthew Murchman wohnte in einem grüngestrichenen Schindelhaus neben der Buchhandlung an der Duke of Gloucester Street. Seine Geschäfte wickelte er im vorderen Empfangszimmer ab, umgeben von Gesetzesbüchern und Papieren. Klein, nervös, grau und rastlos wie ein Eichhörnchen huschte er durchs Zimmer und trug unentwegt irgendwelche Akten von einem Stapel zum anderen.
Jay unterschrieb
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