Die Brücken Der Freiheit: Roman
heraus. Er hatte es ja schon einmal angedeutet. Schnapp dir irgendeinen Tunichtgut, und brenn mit ihm durch, hatte er gesagt… Aber dies hier war keine Andeutung mehr. »Ja, ja, ja!« wollte sie sagen. »Heute noch!« Aber sie hielt sich zurück. Sie hatte auf einmal Angst. »Wo wollt ihr denn hin?« fragte sie.
Er zog eine Lederschatulle aus der Tasche, entnahm ihr eine Karte und entfaltete sie. »Ungefähr hundert Meilen westlich von hier erhebt sich ein langgestreckter Gebirgszug. Er beginnt oben in Pennsylvania und endet irgendwo tief im Süden - niemand kennt seinen genauen Verlauf. Er ist auch ziemlich hoch, doch gibt es angeblich einen Paß - hier, die sogenannte Cumberland Schlucht oberhalb der Quelle des Cumberland-Flusses. Jenseits des Gebirges ist Wildnis. Es heißt, daß nicht einmal Indianer dort leben: Das Gebiet ist seit Generationen zwischen den Sioux und den Cherokee umkämpft, ohne daß es der einen oder der anderen Seite gelingen würde, die Oberhand zu gewinnen und sich dort niederzulassen.«
Lizzies Begeisterung wuchs. »Und wie wollt ihr da hingelangen?«
»Peg und ich würden zu Fuß gehen. Ich würde mich zunächst nach Westen wenden. Wie Pepper Jones mir sagte, gibt es in Höhe der ersten Vorberge einen Pfad, der annähernd parallelzum Gebirge nach Südwesten führt. Über diesen Pfad erreichen wir den Holston River, der auch hier auf der Karte eingezeichnet ist. Und von dort aus würden wir direkt ins Gebirge einsteigen.«
»Und wenn… wenn ihr nicht allein wärt?«
»Wenn du mitkämst, könnten wir einen Planwagen mitnehmen und wesentlich mehr Vorräte: Werkzeug, Saatgut, Lebensmittel. Ich wäre dann ja kein Flüchtling, sondern ein Diener, der mit seiner Herrin und deren Mädchen unterwegs ist. In diesem Fall würde ich zunächst nach Süden fahren, bis Richmond, und von dort aus westwärts nach Staunton. Das ist zwar länger, aber Pepper meint, die Straßen seien wesentlich besser. Er kann sich natürlich irren, aber genauere Informationen konnte ich bisher nicht bekommen.«
Lizzie war hin- und hergerissen zwischen Angst und Aufgeregtheit. »Und was macht ihr, wenn ihr in den Bergen seid?«
Mack lächelte. »Wir suchen uns ein Tal mit einem fischreichen Fluß und wildreichen Wäldern. Vielleicht nistet oben in den höchsten Bäumen ein Adlerpaar. Dort bauen wir uns dann ein Haus.«
Lizzie packte Decken, Wollstrümpfe, Scheren, Nadeln und Garnrollen ein. Ihre Gefühle schwankten zwischen Hochstimmung und blankem Entsetzen hin und her. Die Vorstellung, mit Mack davonzulaufen, stimmte sie überglücklich: Wir reiten zusammen durch die Wälder und schlüpfen nachts in freier Natur unter eine Decke… Doch dann fielen ihr wieder die Risiken ein: Wir müssen Tag für Tag auf die Jagd gehen, damit wir genug zu essen haben. Wir müssen ein Haus bauen, Getreide pflanzen und unsere Pferde selbst kurieren. Vielleicht gibt es feindliche Indianer oder Banditen in der Gegend. Und was passiert, wenn wir im Winter einschneien? Wir würden glatt verhungern!
Als sie aus dem Schlafzimmerfenster blickte, gewahrte sie den Einspänner von MacLaines Schankstube in Fredericksburg. Eine einzelne Gestalt saß auf dem Reisesitz, und hinten auf der Ablage befand sich eine Menge Gepäck. Der Kutscher, ein alter Trunkenbold namens Simmins, hatte sich offenbar in der Pflanzung geirrt. Lizzie ging hinunter, um ihm den rechten Weg zu weisen.
Doch als sie auf die Veranda trat, erkannte sie den Gast.
Es war Alicia, Jays Mutter.
Sie trug Schwarz.
»Lady Jamisson!« rief Lizzie entsetzt aus. »Sie sollten doch in London sein!«
»Hallo, Lizzie!« sagte ihre Schwiegermutter. »Sir George ist tot.«
»Herzversagen«, sagte sie ein paar Minuten später, als sie bei einer Tasse Tee im kleinen Salon saßen. »Er brach in seinem Büro zusammen. Man brachte ihn zum Grosvernor Square, doch er starb auf dem Weg dorthin.«
Sie schilderte den Tod ihres Mannes ohne jeden Seufzer, und ihre Augen blieben trocken.
Lizzie erinnerte sich noch an die junge Alicia: eine Frau, die eher hübsch denn schön gewesen war. Von ihrer jugendlichen Anmut war nicht viel übriggeblieben. Sie war in die Jahre gekommen und hatte eine enttäuschende Ehe hinter sich. Lizzie empfand Mitleid für sie, aber insgeheim gelobte sie sich: So wie sie will ich nie werden.
»Vermißt du ihn?« fragte sie zögernd.
Alicia sah sie kritisch an. »Ich habe einen reichen Mann in angesehener Stellung geheiratet. Und Geld und gesellschaftliche
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