Die Brücken Der Freiheit: Roman
auf dem amerikanischen Kontinent, war allem Anschein nach drauf und dran, sich gegen ihren rechtmäßigen Monarchen aufzulehnen.
Die Abgeordneten diskutierten über die jüngste Drohung aus Westminster: Unter Berufung auf ein Statut aus der Zeit Heinrichs VIII. behauptete das britische Parlament, daß jeder, der des Verrats angeklagt sei, unter Zwangsanwendung nach London gebracht und dort vor Gericht gestellt werden könne.
Die Wogen der Empörung schlugen hoch. Angewidert beobachtete Jay, wie ein angesehener Grundbesitzer nach dem anderen aufstand und den König angriff. Am Ende wurde eine Resolution verabschiedet, in der es hieß, das Verratsstatut stehe im Widerspruch zum Recht eines jeden britischen Untertanen auf ein Verfahren vor einem Gericht, das sich aus Menschen seines Standes zusammensetze.
Im weiteren Verlauf der Sitzung ging es wieder einmal um das Problem, ob das Mutterland Steuern erheben dürfe, obwohl die Kolonisten im Parlament von Westminster nicht vertreten waren. No taxation without representation hieß der ständig wiederholte Slogan. Diesmal gingen die Abgeordneten jedoch noch einen Schritt weiter als sonst, indem sie betonten, daß es ihr Recht sei, in ihrer Opposition gegen die Forderungen der Krone mit den Abgeordnetenversammlungen anderer Kolonien zusammenzuarbeiten. Das kann der Gouverneur ihnen nicht durchgehen lassen, dachte Jay und behielt recht damit. Kurz vor dem Mittagessen - die Abgeordneten sprachen gerade über ein weniger brisantes, lokales Thema - erschien der Sergeantatarms, ein hoher Exekutivbeamter, im Saal, unterbrach die Debatte und verkündete: »Mr. Speaker, eine Botschaft des Gouverneurs.«
Er reichte dem Parlamentssekretär einen Zettel. Der las ihn durch und sagte: »Mr. Speaker, der Gouverneur befiehlt Ihre Versammlung unverzüglich in den Ratssaal.«
Jetzt geht es ihnen an den Kragen, dachte Jay schadenfroh.
Er folgte den Abgeordneten die Treppen hinauf. Die Zuschauer sammelten sich im Flur außerhalb des Ratssaals, konnten aber hineinsehen, da die Türen offen blieben.
Gouverneur Botetourt, die lebende Verkörperung der eisernen Faust im Samthandschuh, saß am Schmalende eines ovalen Tisches. Er sagte nur wenige Worte: »Ich habe von Ihren Resolutionen gehört. Sie machen es mir zur unabdingbaren Pflicht, Ihre Versammlung aufzulösen, und genau dies tue ich hiermit.«
Es herrschte verblüfftes Schweigen.
»Das ist alles«, sagte der Gouverneur ungeduldig.
Jay ließ sich seine Freude nicht anmerken, als die Abgeordneten, einer nach dem anderen, den Ratssaal verließen, die Treppe hinuntergingen, ihre Papiere einsammelten und schließlich im Hof des Gebäudes eintrudelten.
Jay suchte die Raleigh Tavern auf und ließ sich dort an der Bar nieder. Er bestellte sich ein Mittagessen und flirtete mit dem Barmädchen, das sich schon fast in ihn verliebt hatte. Zu seiner Überraschung betraten auch viele Abgeordnete die Schankstube, hielten sich jedoch dort nicht länger auf, sondern steuerten eines der größeren Hinterzimmer an. Ob sie dort neue verräterische Pläne aushecken wollen, fragte er sich.
Als er aufgegessen hatte, erhob er sich und sah nach.
Er hatte sich nicht getäuscht. Die Abgeordneten diskutierten eifrig und machten gar nicht erst den Versuch, ihre aufrührerische Gesinnung zu verbergen. Sie waren blind von der Rechtmäßigkeit ihres Standpunkts überzeugt und zogen daraus ein Selbstbewußtsein, das an schieren Wahnsinn grenzte. Begreifen die denn nicht, dachte Jay, daß sie sich mit ihrem Verhalten den Zorn einer der größten Monarchien der Welt zuziehen? Bilden sie sich etwa ein, daß man ihnen das alles durchgehen läßt? Erkennen sie denn nicht, daß die britische Armee sie über kurz oder lang ausradieren wird?
Nein, sie erkannten es offenbar nicht. So eingebildet waren sie, daß nicht einer protestierte, als Jay sich ganz hinten in ihrem Versammlungsraum auf einen Stuhl setzte - und dies, obwohl vielen Anwesenden seine königstreue Gesinnung durchaus nicht unbekannt war.
Einer der Hitzköpfe hielt gerade eine Rede. Jay kannte ihn. Es war George Washington, ein ehemaliger Armeeoffizier, der mit Landspekulationen viel Geld verdient hatte. Er war kein großer Redner, doch strahlte er eine stahlharte Entschlossenheit aus, die ihren Eindruck auf Jay nicht verfehlte.
Washington hatte einen Plan. In den nördlichen Kolonien, meinte er, hätten einflußreiche Männer Vereinigungen gegründet, deren Mitglieder übereingekommen wären, keine
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